Die schönsten Erzählungen (Die schönsten Erzählungen / Geschichten) (German Edition)

in der Kaukasusarmee, 1854/55 nahm er am Krimkrieg teil, 1856 verließ er das Militär. 1851 veröffentlichte er sein erstes literarisches Werk, »Die Geschichte des gestrigen Tages«. Mit seiner Trilogie »Kindheit, Knabenjahre, Jugendzeit« (1852–1856) erlangte er erste Berühmtheit. 1857 und 1860 unternahm er Reisen nach Westeuropa (Frank reich , Schweiz, Italien, Deutschland, Belgien, England). Nach seiner Heirat mit Sofja Bers 1862 wohnte er in Jasnaja Poljana und Moskau. In diesen Jahren intensivierte er seine Reformvorhaben und richtete Dorfschulen nach Rousseau’schem Vorbild ein. Sein literarisches Schaffen erreichte einen ersten Höhepunkt mit dem Roman »Krieg und Frieden« (1863/69). Ihm folgte 1873/77 »Anna Karenina«. Diese beiden Romane begründeten Tolstois Weltruhm.
    In den Jahren 1879–1882 durchlebte Tolstoi eine Sinnkrise, in deren Folge er sein Leben änderte und sich immer mehr von der Lebensweise des Adels entfernte. Er wurde Vegetarier, verzichtete auf Rauchen und Alkohol, kleidete sich wie ein Bauer, arbeitete hin und wieder in der Landwirtschaft mit. Zeugnis davon legt seine »Beichte« ab, die in Russland nicht gedruckt werden durfte, aber in handschriftlicher Form dort weite Verbreitung fand. Die meisten seiner großen Erzählungen entstanden in dieser Zeit, außerdem 1899 der Roman »Auferstehung«. Tolstoi organisierte zusammen mit seiner Frau und seinen Kindern Hilfe für Bauern, die von Missernten und Hungersnöten betroffen waren, stand öffentlich für Gewaltlosigkeit ein, setzte sich gegen die Todesstrafe ein. In religionskritischen Schriften bezog er Position gegen die offizielle russisch-orthodoxe Kirche und ihre Praktiken und entwickelte seine eigene christliche Lehre. Die russisch-orthodoxe Kirche exkommunizierte ihn daraufhin 1901. Ab 1882 stand Tolstoi unter polizeilicher Beobachtung. In seinen letzten Lebensjahren genoss er weltweite Anerkennung als moralische Autorität.
    Seine Frau und einige seiner Kinder standen seiner Entwicklung seit 1879 zunehmend kritisch gegenüber, was zu großen familiären Auseinandersetzungen führte. Im November 1910 verließ Tolstoi – alt und krank – heimlich sein Gut. Er starb am 20.   11.   1910 auf der Bahnstation Astapowo.

ANMERKUNGEN
     
    7
M. A. Stachowitsch
– Michail Alexandrowitsch Stachowitsch (gest. 1858), Schriftsteller und Folklorist; bekannt auch als Heineübersetzer. Von ihm stammt das Sujet der Erzählung, das sein Bruder A. A. Stachowitsch Tolstoi übermittelte.
    14
Werschok
– altes russisches Längenmaß; 1 Werschok = 4,45 cm. 85
Robber
– Doppelpartie bei Bridge und Whist.
    86
le phénix de la famille
– (franz.) das Prachtstück der Familie.
    88
respice finem
– (lat.) bedenke das Ende.
    Raskolniki-Bewegung
– gegen die offizielle russische Kirche gerichtete Bewegung, die im 17. Jahrhundert entstand und die eine von dem Patriarchen Nikon eingeführte Kirchenreform ablehnte. Die fanatisch am alten Glauben festhaltenden Raskolniki (Abtrünnige) wurden von der herrschenden Staatskirche zu Ketzern erklärt und waren oft grausamen Verfolgungen der zaristischen Behörden ausgesetzt. Die Repressionen gegenüber den Altgläubigen und anderen religiösen Sekten betrachtete Tolstoi als eine besonders unheilvolle Schuld der offiziellen kirchlichen und staatlichen Einrichtungen, und er half vielen Anhängern von Sekten bei ihrer Auswanderung.
    89
bon enfant
– (franz.) braver Kerl.
    Il faut que jeunesse se passe
– (franz.) Jugend muß sich austoben.
neue Gerichtsinstitutionen
– Im Zuge der durch gesellschaftlichen Druck unumgänglich gewordenen Maßnahmen wurde nach Aufhebung der Leibeigenschaft 1861 und anderen Reformen am 20. November 1864 von der zaristischen Regierung eine neue Strafgesetzgebung verabschiedet. Danach wurden erstmals in Russland Geschworenengerichte eingeführt. Tolstoi täuschte sich nie über ihren eigentlichen Zweck, die bestehende Ordnung zu festigen, und hat ihren Mechanismus vor allem in »Auferstehung« bloßgestellt.
    94
de gaîté de cœur
– (franz.) mutwillig.
    100
Zarin Marija
– Marija Fjodorowna (1759–1828), Frau des russischen Zaren Paul I. (1754–1801) und Mutter Alexanders I. (1777 bis 1825); unter ihrem Protektorat standen eine Reihe wohltätiger Institutionen, die eine gewisse Tradition erlangten.
    130
Syllogismus
– Tolstoi setzt hier durch Iwan Iljitsch den formallogischen Schluß wissenschaftlicher Welterkenntnis insgesamt gleich, um damit das Versagen der