Die schönsten Erzählungen (Die schönsten Erzählungen / Geschichten) (German Edition)
befassen. Im Gegenteil, wenn mich etwas zwar nicht trösten, aber immerhin ein wenig ablenken kann, dann sind es die Pflichten, die ich letzten Endes doch um seinetwillen erfülle.« Sie holte aufs Neue ihr Taschentuch hervor und schien wieder weinen zu wollen, nahm sich jedoch plötzlich zusammen, schüttelte, sich gleichsam überwindend, den Kopf und sagte ganz ruhig: »Ja, ich habe etwas mit Ihnen zu besprechen.«
Pjotr Iwanowitsch verneigte sich leicht und war dabei darauf bedacht, die Sprungfedern des Hockers niederzuhalten, die sofort wieder in Bewegung gekommen waren.
»In den letzten Tagen hat er furchtbar gelitten.«
»So große Schmerzen hat er gehabt?«, fragte Pjotr Iwanowitsch.
»Ach, ganz fürchterliche Schmerzen! Die letzten, nicht nur Minuten, nein, Stunden hat er in einem fort geschrien. Drei Tage und drei Nächte lang hat er, ohne auch nur einmal Atem zu holen, ununterbrochen geschrien. Es war unerträglich. Ich begreife jetzt gar nicht, wie ich das ertragen konnte. Drei Zimmer weiter war es noch zu hören. Ach, was ich ausgestanden habe!«
»Und war er die ganze Zeit bei Bewusstsein?«, fragte Pjotr Iwanowitsch.
»Ja«, flüsterte sie, »bis zum letzten Augenblick. Eine Viertelstunde vor seinem Hinscheiden nahm er von uns Abschied und bat dann noch, Wolodja hinauszuführen.«
Der Gedanke an die Qualen eines Menschen, den er so gut gekannt hatte, zuerst als fröhlichen Knaben und Schulkameraden und im späteren Leben als Kollegen, erfüllte Pjotr Iwanowitsch trotz des peinlichen Bewusstseins, dass er und diese Frau ihren Schmerz nur heuchelten, ganz plötzlich mit Entsetzen. Er sah wieder diese Stirn, sah wieder die Nase, die auf die Oberlippe drückte, und ihm wurde bange für sich selbst.
Drei Tage und Nächte voller fürchterlicher Qualen und dann der Tod! Das kann ja von heute auf morgen, kann jeden Augenblick auch mir beschieden sein, dachte er und wurde für einen Moment von Grauen gepackt. Doch gleich darauf kam ihm, er wusste selbst nicht wie, der in solchen Fällen übliche Gedanke zu Hilfe, dass dies nur Iwan Iljitsch vom Schicksal bestimmt gewesen sei und dass mit ihm selbst keineswegs das Gleiche zu geschehen brauche oder auch nur zu befürchten sei; durch solche Grübeleien, dachte er, versetzt man sich nur in düstere Stimmung, und das darf man, wie deutlich aus dem Gesicht von Schwarz zu ersehen gewesen war, nicht tun. Nachdem Pjotr Iwanowitsch diese Erwägungen angestellt hatte, wurde er wieder ruhig und erkundigte sich nun so interessiert nach den Einzelheiten, unter denen Iwan Iljitsch gestorben war, als handelte es sich bei dem Tod um ein Ereignis, das nur Iwan Iljitsch, aber keinesfalls ihm selbst zustoßen konnte.
Nachdem eine Weile über die Einzelheiten der in der Tat fürchterlichen körperlichen Qualen gesprochen worden war, die Iwan Iljitsch ausgestanden hatte und die Pjotr Iwanowitsch vornehmlich danach ermessen konnte, was die Witwe ihm davon erzählte, wie sich Iwan Iljitschs Qualen auf ihre Nerven ausgewirkt hatten, hielt diese es offenbar für angebracht, zur Sache überzugehen.
»Ach, Pjotr Iwanowitsch, wie schwer, wie entsetzlich schwer ist das alles«, sagte sie und fing wieder an zu weinen.
Pjotr Iwanowitsch seufzte und wartete ab, bis sie sich die Nase geputzt haben würde. Nachdem sie das getan hatte, sagte er: »Glauben Sie mir . . .« Da fasste sie sich wieder und rückte endlich damit heraus, was offensichtlich ihr Hauptanliegen an ihn war – nämlich die Frage, auf welche Weise sie anläßlich des Todes ihres Mannes möglichst viel Geld aus der Staatskasse erhalten könnte. Sie gab sich den Anschein, als wollte sie Pjotr Iwanowitsch nur wegen der ihr zustehenden Pension um Rat fragen; doch er erkannte bald, dass sie nicht nur hierüber bereits bis in alle Einzelheiten unterrichtet war, sondern darüber hinaus auch noch mehr wusste als er selbst: Ihr waren aufs genaueste alle Beträge bekannt, die sich infolge dieses Todes aus der Staatskasse erlangen ließen, aber sie wollte hören, ob es nicht eine Möglichkeit gebe, noch mehr Geld herauszupressen. Pjotr Iwanowitsch gab sich Mühe, eine solche Möglichkeit zu ersinnen, doch nachdem er eine Weile nachgedacht und anstandshalber eine tadelnde Bemerkung über die Knauserigkeit der Regierung gemacht hatte, erklärte er, dass kaum Aussicht bestehe, noch mehr Geld herauszuholen. Praskowja Fjodorowna stieß hierauf einen Seufzer aus und suchte jetzt offensichtlich nur noch nach einem Vorwand, sich von
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