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Die schönsten Erzählungen (Die schönsten Erzählungen / Geschichten) (German Edition)

Die schönsten Erzählungen (Die schönsten Erzählungen / Geschichten) (German Edition)

Titel: Die schönsten Erzählungen (Die schönsten Erzählungen / Geschichten) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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Fenstervorhänge änderte. Als er eines Tages auf eine Trittleiter gestiegen war und dem Tapezierer, der ihn nicht richtig verstanden hatte, zeigen wollte, wie er die Vorhänge drapieren sollte, verfehlte er einen Tritt und stürzte, konnte sich jedoch – stark und gewandt, wie er war – im Fallen noch festhalten und stieß lediglich mit einer Seite gegen den Fenstergriff. Die getroffene Stelle schmerzte, doch das legte sich bald. Iwan Iljitsch fühlte sich während dieser ganzen Zeit besonders wohl und gut gelaunt. »Mir ist, als sei ich um fünfzehn Jahre jünger«, schrieb er in seinen Briefen. Er hatte damit gerechnet, im Laufe des Septembers mit allem fertig zu werden, aber dann zogen sich die Arbeiten doch noch bis Mitte Oktober hin. Doch dafür war auch alles wunderschön geworden, was nicht nur er selbst fand, sondern ihm auch von allen versichert wurde, die die Einrichtung zu sehen bekamen.
    Im Grunde genommen aber war seine Wohnung genauso ausgestattet, wie es die Wohnungen aller nicht sehr bemittelten Leute sind, die danach trachten, den Eindruck von Reichtum zu erwecken, und dadurch nur erreichen, dass alle diese Wohnungen einander ähneln; in einer wie der andern sieht man die gleichen Stoffe, die gleichen Möbel aus Ebenholz, die gleichen Blumen, Teppiche, matte und glänzende Bronzefiguren – alles das, womit manche Menschen ihre Wohnungen ausstatten, damit sie den Wohnungen von Leuten eines gewissen Standes gleichen. Auch die Einrichtung Iwan Iljitschs hatte diesen schablonenhaften Charakter, und nichts in ihr erregte besondere Aufmerksamkeit; nur ihm selbst erschien alles als etwas ganz Besonderes. Als er mit den Seinen, die er vom Bahnhof abgeholt hatte, an der hell erleuchteten, vollständig eingerichteten Wohnung anlangte und der Diener mit weißem Schlips ihnen die Tür zu dem mit Blumen geschmückten Vorzimmer öffnete und Iwan Iljitsch mit ihnen in den Salon und ins Herrenzimmer ging, wo alle vor Staunen den Mund aufrissen, war er grenzenlos glücklich; er führte sie überall herum und strahlte bei ihren Ausrufen des Entzückens über das ganze Gesicht. Und als sich Praskowja Fjodorowna dann abends beim Tee unter anderem nach seinem Unfall beim Anbringen der Fenstervorhänge erkundigte, lachte er und führte anschaulich vor, wie er von der Leiter gestürzt war und den Tapezierer in Schrecken versetzt hatte.
    »Nicht umsonst bin ich Turner. Ein anderer hätte sich den Hals gebrochen, während ich mich nur leicht gestoßen habe – hier, an dieser Stelle. Wenn ich sie berühre, schmerzt sie noch etwas, aber auch das lässt schon nach; nur ein blauer Fleck ist noch zu sehen.«
    Sie machten es sich nun in der neuen Wohnung bequem, und abgesehen davon, dass man – wie es gewöhnlich der Fall ist, wenn man sich erst richtig eingelebt hat – gern ein Zimmer mehr gehabt hätte und dass auch das von Iwan Iljitsch in seiner neuen Stellung bezogene Gehalt nicht ganz ausreichte – es fehlte nicht viel, nur etwa fünfhundert Rubel –, war alles sehr schön. Besonders schön war es in der Zeit, als noch nicht alles eingerichtet war und es noch manches zu tun gab: Das eine und andere musste noch gekauft oder bestellt werden, man musste einige Möbel umstellen, verschiedene Gegenstände sollten einen anderen Platz erhalten. Und wenn sich dabei auch zuweilen Meinungsverschiedenheiten zwischen den Eheleuten ergaben, so waren doch beide zufrieden und so stark beschäftigt, dass es zu keinen ernsten Streitigkeiten kam. Mit der Zeit, als an der Einrichtung nichts mehr zu ändern und zu vervollständigen war, wurde das Leben eintönig, am vollen Glück fehlte etwas; doch nun wurden Bekanntschaften geschlossen, es bürgerten sich bestimmte Gewohnheiten ein, und der Tageslauf war ausgefüllt.
    Iwan Iljitsch, der den Vormittag im Gericht zubrachte und erst zum Mittagessen nach Hause zurückkehrte, war in der ersten Zeit immer gut aufgelegt, obwohl seine Stimmung gerade in Verbindung mit der Wohnungseinrichtung mitunter etwas beeinträchtigt wurde. Jeder Fleck auf dem Tischtuch oder auf den Möbelbezügen, jede an den Fenstervorhängen abgerissene Schnur bereitete ihm Verdruss. Er hatte so viel Mühe auf die ganze Ausstattung verwandt, dass ihn jeder kleine Zwischenfall dieser Art schmerzlich berührte. Doch im Allgemeinen wickelte sich das Leben Iwan Iljitschs so ab, wie es seiner Auffassung nach sein musste: unbeschwert, angenehm und korrekt. Er stand um neun Uhr auf, trank seinen Kaffee, las die Zeitung, zog

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