Die schönsten Sagen Österreichs (German Edition)
Fremde auf die Alp und einer der Sennen erzählte den Gästen vom Treiben dieser Bestie. Aber die Besucher glaubten die Geschichte nicht und als sie abzogen, warfen sie voller Übermut Steine in den See und riefen dem Stier allerlei Kraftausdrücke zu. Alles blieb ruhig. In der Nacht aber wurden die Alpleute durch einen wahren Höllenlärm aus dem Schlaf aufgeschreckt. Das Dach der Sennhütte erbebte unter furchtbaren Stößen und gewaltigem Getrampel und drohte einzustürzen. Der Stier tobte draußen, und da die Tür gut verschlossen und gesegnet war, wollte er sich Einlass durch das Dach verschaffen. In dieser großen Gefahr bekreuzigten sich die Alpknechte und verließen nach kurzer Besprechung in aller Stille die Hütte, um sich mit mächtigen Stangen zu bewaffnen und den Feind abzuwehren. Als der Stier die bewaffnete Mannschaft entschlossen zum Angriff vorrücken sah, brach er in ein Gebrüll aus, das die Berge ringsum erschütterte, sprang in einem Satz vom Dach und verschwand in den schäumenden Wellen. In diesem Jahr stürzte am meisten Vieh ab, obwohl der Stier nicht so bald wieder erschien.
Das Nachtvolk straft oder entführt
Vor vielen Jahren lag in der Nähe von Bangs, in Nofels, die kleine Parzelle Matschels, die damals noch recht gut besiedelt war und später nur mehr aus einem Heustadel bestand. Von Matschels aus wollte einst ein Mädchen nach Rüthi in der Schweiz gehen und zu einem ausgemachten Zeitpunkt wieder heimkehren.
Doch das Mädchen kam nicht zur ausgemachten Stunde nach Hause und alle bekamen Angst um sie. Jede Minute des Wartens war für die Angehörigen eine Tortur, und so ging ein beherzter Mann auf die Suche. Es war bereits dunkel, und als das Nachtvolk dahergefahren kam, fragte der Mann, ob sich vielleicht das Mädchen darunter befinde. Das Nachtvolk antwortete, dass es nicht bei ihm sei. Und das Mädchen wurde auch nicht mehr gefunden.
Der Mann aber, der das Nachtvolk unerlaubterweise angesprochen hatte, begann zu kränkeln und starb wenig später. Denn niemand darf das Nachtvolk einfach ansprechen, sonst muss er dafür mit dem Leben bezahlen.
Einmal traf das Nachtvolk ein Mädchen, das einfach nicht nach Hause gehen wollte, noch nach dem Abendläuten auf der Straße. Da packten sie es und nahmen es mit. Der Bruder ging in der folgenden Nacht vor das Dorf hinaus, um seine Schwester zu suchen. Schließlich sah er sie beim Nachtvolk, konnte die Entführte aber nicht freibekommen.
Darüber wurde er so traurig, dass er den Verstand verlor.
An einem Winterabend gingen zwei Burschen Schlitten fahren. Die Mutter hatte ihnen eindringlich gesagt, dass sie auf jeden Fall bis zum Abendläuten wieder zu Hause zu sein hatten. Nun läutete es, und die beiden waren nicht heimgekommen. Die zwei waren lieber noch einmal auf den Berg hinaufgestapft und wollten im Dunkeln mit dem Schlitten abfahren. War das ein Vergnügen! Aber auf einmal begann ein Heulen, Brausen und Sausen, wie sie es noch nie erlebt hatten. Jetzt war es auch schon finstere Nacht und ängstlich krochen die Burschen wie zwei kleine Buben unter Holzblöcke, um Schutz zu suchen. Aber eine harte Faust packte sie im Genick und setzte sie auf den Schlitten. Nachdem sich der fremde Mann hinten draufgesetzt hatte, ging die rasende Fahrt los über Stock und Stein. Als sie im Tal zu einem Wegkreuz kamen, hielt der Mann den Schlitten an und war auch schon verschwunden. War das eine Fahrt und war das ein Schreck gewesen! Und ihre beiden Zipfelmützen waren auch weg, die hatte ihnen der Mann genommen. So kamen sie zitternd vor Kälte und Schreck heim. Immer noch schlotternd gingen sie zu Bett und bekamen so hohes Fieber, dass niemand glauben konnte, dass sie die Nacht überleben würden. Im Frühling lagen die beiden immer noch krank im Bett, es kam der Sommer und schließlich der Herbst, und jetzt erst konnten sie langsam wieder aufstehen. Aber noch immer waren sie sehr, sehr blass.
Im Winter gingen sie mit ihrem Schlitten wieder an die gleiche Stelle, wo sie im Jahr zuvor gewesen waren. Auf einmal hörten sie aus dem Wald heraus ein schauriges, übermütiges Gelächter. Sie fürchteten sich sehr, wollten sich aber nicht wie im letzten Jahr verstecken, sondern der Gefahr ins Auge blicken. Ein bunt gekleideter Mann kam aus dem Wald auf sie zu und als er vor ihnen stand, gab er ihnen die Kappen zurück, die er ihnen vor Jahresfrist abgenommen hatte. Und da war er auch schon wieder verschwunden. Als sie ihre alten Zipfelkappen aufsetzten,
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