Die schoensten Weihnachtsgeschichten
fuhr wie ein erhellender Blitz in mich die Entdeckung, wer dieser Mann war.
»Karla!« rief ich und riß das Fenster auf. »Es ist ja der August Böök.«
»Da bin ich, Chef!« sagte August und schwang sich mit einer wunderbaren, bestimmt im Zirkus erworbenen Leichtigkeit in das Zimmer. »Guten Abend, Chefin! Ich hoffe, ich habe Sie beide nicht zu sehr erschreckt!«
»Aber, lieber Herr Böök«, rief ich, leise protestierend. »Was machen Sie denn für Geschichten! Die Mücke ist krank – Sie hätten sie zu Tode erschrecken können!«
»Tut mir leid, Chef!« sagte August Böök. »Aber mir fiel kein anderer Weg mehr ein. Seit sieben Stunden versuche ich, zu Ihnen zu kommen. Aber Sie sind bewacht wie der Domschatz zu Hildesheim! – Was hat denn die Mücke?«
Die Mücke regte sich wieder bei ihrem Namen, sie drehte sich zu uns um, sah den August Böök mit großen Augen ohne alles Erschrecken an und sagte: »Bist du das, Onkel Böök? Willst du mir mal schnell was zaubern?«
Kein Kinderherz vergißt einen Onkel wie den August Böök, er komme noch so selten. Wir anderen Erwachsenen sind nur ein Notbehelf, solange kein August Böök zur Hand ist, wir ermüden viel zu schnell beim Spielen, und selten fällt uns etwas Neues ein.
Der August Böök war wie immer so auch jetzt sofort im Bilde. »Zaubern?« fragte er. »Aber gewiß doch, kleine Mücke!«
Mit einem Griff hatte er die kleine Nachttischlampe umgestellt, die Hände kunstvoll ineinander verschlungen, und schon hoppelte der Schattenriß eines Hasen über die Tapete.
»Siehst du, jetzt macht er Männchen, Mücke! Jetzt wackelt er mit den Ohren. Und jetzt knabbert er ein Blatt Kohl – hörst du, wie es knackt?«
Es klang wirklich so, als sei ein Hase im Zimmer und knuspere seinen Kohl. Die Mücke lachte …
Eine Stimme von der Tür fragte grämlich: »Geht es Eduarda schlechter? Soll ich Sie vielleicht ablösen, gnädige Frau?«
Wir standen stockstill bei diesem Mahnruf der Bewacherin Kiesow – wie die ertappten Verbrecher! Wie sollten wir die Anwesenheit eines fremden Mannes im Schlafzimmer unserer kranken Tochter erklären, eines Mannes, der auf illegale Weise, ohne den Portier zu passieren, ins Hotel eingedrungen war. Der ganz und gar nicht so aussah, wie ein Besucher von uns auszusehen hatte, mit einem ehemals weiß gewesenen wolligen Jumper, blauen Matrosenhosen, dem dunklen, scharf geschnittenen, wettergegerbten Gesicht – und wahrhaftig,ich hatte ihn vorher nie mit Bewußtsein gesehen: einem goldenen Ring im linken Ohrläppchen.
August Böök war natürlich der Geistesgegenwärtige: Mit einem langen Schritt war er an der Tür und setzte den Fuß fest gegen ihre Unterkante. Ihm als nächste in Geistesgegenwart folgte Karla: Sie legte der Mücke sachte die Hand über den Mund und bedeutete ihr, stille zu sein. Die Mücke begriff sofort, daß der Onkel Böök ein Geheimnis zwischen uns war, von dem Fräulein Kiesow nichts wissen durfte …
Schließlich raffte auch ich mich auf und sagte nach einigem Räuspern: »Es ist alles in Ordnung, Fräulein Kiesow. Wollen Sie bitte schlafen gehen. Meine Frau braucht keine Ablösung.«
Eine Weile war es vor der Tür still. Wir warteten bewegungslos. Endlich sagte die verdrossene Stimme: »Dann also gute Nacht. Ich hoffe, es ist wirklich alles in Ordnung mit Eduarda.«
Wir hörten sie wegschlurfen. Es dauerte aber noch eine ganze Weile, ehe wir uns entschlossen, wieder miteinander zu reden, und auch dann nur flüsternd. August Böök drehte sachte den Schlüssel im Schloß um, so daß wir vor neuen Überfällen sicher waren. »Strenge Bewachung, wie?« lächelte er. »Kann ich mir denken, jeder möchte die gute Milchkuh allein melken!«
Sieben Stunden Stromern und Horchen um das Palasthotel hatten ihm ein recht genaues Bild von unserer bedrängten Lage gegeben.
»Wie ist es denn mit dem Chauffeurposten, was? Schon besetzt, natürlich! Ich konnte aber nicht eherkommen, mußte erst den Kies zur Reise zusammenhökern.« Er sah unsere verlegenen Gesichter. »Zu spät, ja? Genieren Sie sich bloß nicht vor mir, so was macht mir gar nichts. Kein Mensch ist leichter abzuwimmeln als ich.«
Gottlob enthob uns die Mücke einer sofortigen Antwort. Sie verlangte stürmisch nach der Fortsetzung ihrer Schattenspiele.
»Tun Sie ihr den Gefallen, Herr Böök!« bat Karla. »Und sehen Sie, daß sie bald zum Einschlafen kommt. Über Ihre Stellung reden wir dann in aller Ruhe.«
»Gemacht, Chefin«, sagte August Böök
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