Die schoensten Weihnachtsgeschichten
und der Weg eben durch den verschneiten Winterwald nach Langleide sei nicht weniger schön als die schönste Hafeneinfahrt der Welt.
Hier wollte der Kantor schon ein wenig losfahren, als der August lächelte und meinte, von der Schönheit der Natur werde kein Herz allein satt. Dazu brauche es auch noch die Mitmenschen. Und wenn der Mensch auch überall auf der Welt sich ziemlich gleich sei in Haß und Liebe, Gier und Eifersucht, Geiz und Drang zum Gelde, so sei er uns doch mit all seinen Fehlern noch am ehesten im Heimatlande erträglich, während wir uns in der Fremde bei jeder schlimmen Erfahrung gleich verraten und verkauft vorkämen.
Der August sah den Kantor gelassen aus seinem wettergegerbten Gesicht an. Des Kantor Friedemanns löwenartiges Gesicht aber hatte sich zornig gerötet, und er schrie, dies sei eine kaltblütige Fischperspektive, und er wolle lieber hängen, als solch ein Kaltblüter zu werden. Die Erde sei voll der Wunder, und Gott habe diese Wunder darum erschaffen, daß wir sie bewunderten und sie nicht kaltäugig anglotzten wie die Goldfische ihre Umwelt durch die Scheiben eines Aquariums!
Der August antwortete, warum Gott die Welt erschaffen habe, das sei immer noch nicht ganz entschieden, und nur eines sei sicher, in hundert Jahren wisse es doch kein Mensch mehr, ob der Herr Kantor beschwerliche Reisen gemacht oder daheim bei seinem Suppentopf gesessen habe, und so sei beides schließlich gleich viel wert …
O Gott, wie brach mit zornigem Donner und Blitz der Kantor Friedemann über den August Böök her! Die Mücke wußte erst nicht, ob sie weinen oder lachen sollte, entschied sich dann aber doch lieber fürs Lachen.Was richtig war, denn die Frau Kantorin sagte gelassen, ihr Mann sei immer so, und wenn er nicht brüllen könne, werde er krank, er meine es gut …
Aber wir hörten nicht mehr zu. Wir zogen die übermüdete Mücke vom abgegessenen Tisch hoch und gingen mit ihr hinauf in das Mädchenzimmer am Giebel, wo alle Töchter der Kantorin gewohnt hatten und jede mit Bildchen oder Nähkörbchen oder Tanzfächern ein Andenken ihres Lebens zurückgelassen hatte.
Wir legten das Kind ins Bett, versprachen ihm noch fürs Einschlafen den August und gingen hinunter, abzuräumen, aufzuwaschen und den Baum anzuputzen. Der Streit zwischen den beiden Männern hatte sich unterdes beruhigt. Der Kantor erzählte von seinen Bienen und der August von afrikanischen Termiten, entging aber gerne der bohrenden Fragelust seines Gesprächspartners und wurde der Mücke Sandmann.
Die Frauen wollten uns, nachdem wir ihnen den Baum hereingeholt und mit einem festen Fuß versehen hatten, nicht mehr zur Hilfe haben. So gingen wir hinüber ins Arbeitszimmer des Kantors, und er holte aus einem verschlossenen Fach seines fichtenen Schreibtisches alte Hefte seiner Schüler und berichtete mir, wie der eine, der diesen Aufsatz über das Pferd geschrieben, seit über dreißig Jahren in der Stadt Savannah im Staate Georgia lebe, seit dreizehn Jahren aber nicht mehr in sein Heimatdorf geschrieben habe.
Er zeigte mir das Heft eines anderen Schülers, dem er Latein beigebracht hatte. »Und ich konnte es doch selbstnicht; jede Nacht lernte ich voraus, was er am nächsten Tage zu lernen hatte!«
Der Schüler war etwas geworden, er war ein großer Arzt geworden, und alle Neujahr dachte er noch seines alten Dorflehrers mit einem freundlichen Gruß und einem Kistchen kostbarer Zigarren. Er würde mir gern eine zu schmecken geben, aber es seien immer gerade fünfzig, und er verteile sie so über das ganze Jahr, daß er die letzte heute nach der Bescherung rauchen werde. Wenn ich freilich zu Neujahr bei der frischen Kistenankunft noch im Hause wäre, könnte Rat werden.
Der alte Mann war plötzlich ganz friedlich geworden in seinem behäbigen Schreibstuhl. Er gähnte ein wenig und meinte, er wolle rasch noch ein Auge Schlaf nehmen. Es werde heute wohl später werden, Christgottesdienst sei um acht. Ich solle mich nur in eine Sofaecke setzen und auch ein bißchen schnurkeln …
Ich tat’s nicht, sondern ging hinauf in die Schlafstube der kleinen Mücke. Sie schlief noch, und der August Böök war fortgegangen. Eine Weile sah ich tatenlos die Wände mit den Bildchen und Fächern an, dann stieg ich wieder hinunter. Aber die Frauen wollten mich nicht einlassen in das Bescherungszimmer, und nur die Karla kam schnell einmal heraus, lehnte sich an mich und sagte: »Ist’s hier nicht schön und friedlich? So müßten wir’s immer
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