Die schoensten Weihnachtsgeschichten
die Fahrkarten zu sehen verlangte.
Der Schaffner aber, dem es doch ganz gleichgültig hätte sein können, war gar nicht einverstanden, daß ein Fahrgast der zweiten in die vierte Klasse übergesiedelt war. Er wollte von der Karla wissen, wieso denn, was denn dem Frauenabteil gefehlt habe? Und Karla hatte es mit der Begründung nicht leicht, denn mich durfte sie nach unserem Programm nicht angeben, und wir waren ja auch beim Eintritt des Schaffners schön fern und fremd auseinandergerückt.
Als Karla den Mann, der sich am meisten über das nutzlose Geldausgeben ärgerte, endlich fast durch die Behauptung beruhigt hatte, die Kleine habe mehr Spielraum haben müssen, verdarb die Mücke wieder alles. Denn sie stellte sich an meine Knie und nannte mich ihren lieben Papa, es gefiel ihr nämlich gar nicht, daß ihre Mutter so fremd mit mir tat, sie meinte wohl, wir hätten uns gezankt.
»So, ist das dein Papa, Kleine?« fragte der Schaffner gleich und sah von mir zu Karla, die sich glutrot angesteckt hatte, und dann verlangte er noch einmal, meine Fahrkarte zu sehen.
Es war richtig eine graue Fahrkarte vierter Klasse, und die Mama fuhr also zweiter Klasse, stieg dann aber in die vierte um. Ich sah es ihm an, wie sein Hirn an der Lösung dieses unbegreiflichen Rätsels kaute, er sah finster auf uns, Hilfe suchend nach der Bauersfrau und dem Arbeiter, die jetzt mit sehr wachen Augen auch auf unsstarrten. Ich hätte ihm gern des Rätsels Lösung gesagt und konnte es doch nicht, weil ich ihm dann gewissermaßen unsere ganze Lebensgeschichte hätte erzählen müssen.
Grenzenlos verlegen waren wir, und diesmal half uns auch der August Böök nicht, sondern schlief. Die Verbrecher in den Kriminalromanen müssen sehr viel schlauer sein als wir, dachte ich noch. Und: Wenn der Fiete an diesen Schaffner gerät, sind wir gleich geschnappt. Und: Zum Schwindeln haben wir jedenfalls nicht sehr viel Talent …
»In Flötau umsteigen!« sagte der Schaffner zornig und ging. Wir aber saßen geknickt auf unseren harten Holzbänken und wagten nicht, einander anzusehen, und nicht, zusammenzurücken, weil immer noch Bäuerin und Arbeiter guckten. Aber harmlos lief die Mücke mit Mummi-und Paparufen zwischen uns hin und her und machte, daß wir uns noch dämlicher fühlten, als wir uns benommen hatten.
Aber schließlich kam Flötau. Unter den mißtrauischen Augen des Schaffners stiegen wir um. Da aber nun doch alles verdorben war, blieben wir im Bimmelbähnchen alle beieinander, und hier war der Schaffner ein menschenfreundlicher Mann, der es ohne viel Fragen verstand, daß die Leute lieber gesellig beieinander hockten, statt gelangweilt für sich zu reisen.
An unsere fast dreistündige Winterwanderung durch den sachte immer mehr einschneienden Winterwald werden wir wohl zeitlebens denken, die Karla und ich, so schön war sie. Manchmal schwätzten wir miteinander,mit der Mücke, mit dem August Böök – von allem, was uns in den Kopf kam, bloß nicht von Geld und Geldsorgen und auch nicht von Justizräten und Steuern. Sondern meistens von Weihnachten, und von recht ungewöhnlichen Weihnachtsfeiern mit vielerlei Getier und mannigfaltigen Menschen wußte der August uns zu erzählen …
Noch öfter aber schwiegen wir, sachte fiel der Schnee um uns. Wir gingen immer tiefer in die großen, schweigenden Wälder hinein, aus unserem öden Palastdasein hinaus. Die Luft war so rein und klar, daß wir sie wie einen stärkenden Wohlgeschmack in Mund und Lunge fühlten. Manchmal befreite sich ein großer Tannenast von seiner stets wachsenden Last und stäubte uns lockeren Schnee auf Gesicht, Hände und in den Nacken.
Dann schüttelten wir uns lachend, vor lauter Daseinswonne warf sich die Mücke in den Schnee, wälzte sich und kreischte vor Lust. Der August Böök setzte den Koffer ab, faßte lachend die Mücke an beiden Füßen und ließ sie schlittenfahren. Karla und ich bekamen darüber auch das Rangeln, jedes hätte das andere gerne im Schnee liegen sehen und wäre vergnügt mit ihm schlittengefahren …
Wir rangen miteinander, und keines wollte nachgeben, und allmählich wurde aus dem Ringen ein Umarmen, und als wir in den Schnee fielen, fielen wir beide willig, und der Kuß, den wir uns gaben, war so verliebt wie seit vielen Wochen nicht! Richtig jung und lebenslustig wurden wir wieder, nach der Ödnis vergangener Wochen flammte die Freude wieder auf, wieder wurdenwir die jungen Leute, die jungen Schreyvogels, die jungen Schreievögel –
Weitere Kostenlose Bücher