Die schonende Abwehr verliebter Frauen oder Die Kunst der Verstellung - Soboczynski, A: Die schonende Abwehr verliebter Frauen
beförderte. Und tatsächlich schlief Anja,
nach einigen vor sich hingemurmelten Verwünschungen und zwei entrückten Lachanfällen auch bald ein.
Baltasar Gracián schrieb einst: »Ein schöner Rückzug ist ebensoviel wert als ein kühner Angriff.« Um wie viel mehr gilt dieser
Satz, wenn Alkohol im Spiel ist. Er verstärkt negative Gefühlsregungen derart, dass sie einem zumeist mehr schaden als nützen.
Das durch Alkohol erzeugte Sich-Hineinsteigern in eine unangenehme, in voller Klarheit erstrahlende Erkenntnis führt zu Enthemmungen,
die jeder |102| Körperdisziplinierung entgegenlaufen. Gerade wer sich bereits mit schlechter Stimmung auf eine Feier begibt, sollte nur mäßig
trinken, Hochprozentiges unbedingt meiden und frühzeitig das Fest verlassen.
Beinahe umgekehrt verhält sich, wer in aufgeräumter Stimmung ein Fest betritt. Man darf dann durchaus zulangen, feurige Reden
halten und fremder Leute Münder küssen, bis der Morgen graut. Mit einem aus heiterem Übermut rauschhaft verbrachten Fest macht
man sich in der Regel nicht unbeliebt. Schließlich weiß ein jeder Verstellungskünstler, dass er als solcher niemals erkannt
werden darf. Deshalb ist es ab und an wichtig, heftig mitzutrinken, um nicht als ein von übermäßiger Selbstkontrolle und Verkniffenheit
geplagter Mensch zu erscheinen, der niemandem gefällt.
Bereits zwei Tage nach Verenas denkwürdiger Party werden aus der bislang gemeinsam angemieteten Wohnung unseres unglücklichen
Paares Umzugskartons herausgetragen. Nachdem Anja nach einer letzten, wortlosen Umarmung Timo den Rücken kehrt, sitzt dieser
noch einige Minuten in völliger Gedankenleere in der Küche, greift dann, halb sich wieder fassend, zu seinem Handy und schickt
Sabine eine bewusst gut gelaunt abgefasste SMS: »Kaffee? Heute? Oder morgen?«
PS: Timo hatte es ziemlich geärgert, dass, nachdem Anja ihn auf der Party geohrfeigt hatte, sich Sabine, um seine Beziehungskrise
wohl nicht weiter zuzuspitzen, im weiteren Verlauf der Party mit großer Aufmerksamkeit den Erzählungen eines anderen Mannes
hingab.
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|103| 17 WITZ ZEIGEN
D ie geschmeidigste aller Verstellungskünste: Witz zeigen. Damit ist nicht der grobe, längst vom Aussterben bedrohte Kalauer
gemeint: »Fragt Eva Adam: ›Liebst du mich noch?‹ Sagt Adam: ›Ja, wen denn sonst?‹« Nein, da wenden wir uns mit einem müden
Lächeln ab. Gemeint ist eine rasche Auffassungsgabe, geistige Beweglichkeit, Spontaneität, die allenthalben gefällt. Und zu
gefallen ist immer nützlich.
Sieben Herren und zwei Damen saßen beieinander an einem ovalen Tisch, um sie herum breite Fensterfronten, doch nur trübes
Licht: Regen. Immerhin, die Aussicht auf die Stadt: ein Meer von Häusern, Leuchtreklame, ein Zug, der geräuschlos vorüberglitt.
Herr Marten plädierte mit Verve für Investieren, der Gebäudekomplex in Dettersheim sei günstig. Ein wenig ab vom Schuss, gewiss.
Aber er habe aus sicherer Quelle erfahren, dass der Senat nächstes Jahr nun endlich beschließen werde, Dettersheim durch eine
Verlängerung der S-Bahn-Trasse mit dem Zentrum zu verbinden. Dann stiegen die Mieten wie von selbst. Er rate zum Kauf!
Frau Kayser blickte nachdenklich. Bei allen Ausbauvorhaben der städtischen Infrastruktur, sagte sie, drohten |104| Verzögerungen ungeahnter Dauer. Vorhaben seien das eine, was aber nicht beschlossen sei, sei nicht beschlossen. So gut gehe
es der Immobilien Wanders GmbH & Co. KG nicht, dass man aufgrund vager Gerüchte spekulative Ankäufe tätigen sollte!
Frau Kaysers Lippen waren nunmehr ein dünner Strich, sie zog kurz ihr schwarzes Kostüm zurecht und blickte sehr ernst, beinahe
düster, Herrn Marten an.
Herr Marten wiederum, während er sich mit dem Finger kurz über die Nase fuhr, erwiderte, dass, sobald die Sache vom Senat
beschlossen sei, ein Kauf sich nicht mehr lohne, da der Kaufpreis sogleich unweigerlich in die Höhe schieße. Ob sie, Frau
Kayser, dies begreife?
Das war durchaus mit Schärfe ausgesprochen, aber er lächelte dabei. Und blickte um sich. Alle Mitarbeiter sahen ihn gespannt
an, da er seine Ausführungen fortzusetzen gedachte, was man daran erkennen konnte, dass er, in seiner kleinen Redepause, zaghaft
den Zeigefinger in die Höhe streckte, allerdings ohne den Arm vom Tisch zu erheben. Herr Marten neigte sich nun direkt Frau
Kayser zu, sagte heiter: »Liebe Frau Kayser, so gut geht es der Immobilien Wanders GmbH & Co. KG
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