Die schonende Abwehr verliebter Frauen oder Die Kunst der Verstellung - Soboczynski, A: Die schonende Abwehr verliebter Frauen
angereist war (ein etwas fülliger Mann, der sich betont frivol und lustig gab), in der Wohnküche
getrunken worden waren, nahm Anja, auf dem Weg zur Toilette, leicht verwundert wahr, dass Timo, |99| was er ausgesprochen selten tat, tanzte. Und das gar nicht einmal so unbeholfen.
Anja begab sich wieder in die Küche, Andreas, sie bereits erwartend, reichte ihr einen Wein und erzählte mit aufgeregtem Mienenspiel
wenig Erwähnenswertes, irgendetwas von Merowingern, über die er promoviere. Weshalb sich Anja kurz darauf im Arbeitszimmer
der Gastgeberin einfand: Auch hier standen Partygäste herum, sich rege unterhaltend, unter ihnen ihr Freund. Timo, für einen
Moment irritiert, Anja zu sehen, als habe er sie vergessen, stellte er ihr seine Gesprächspartnerin vor: Sabine, eine großgewachsene
und, wie Anja schien, allzu dramatisch geschminkte Frau um die dreißig mit spitzen Schuhen, die bei ihrem Anblick, warum auch
immer, herzhaft lachte. Timo merkte eigens an, wohl um Anja liebevoll zu ärgern, dass er Sabine eben beim Tanzen kennengelernt
habe. Schade, dass sie, Anja, es vorgezogen habe, in der Küche zu plaudern! Er tanze doch so gerne mit ihr! Sabine grinste
unverhohlen.
Anja, der Neckereien schnell überdrüssig, sagte, dass ihre beste Freundin Verena in der Küche auf sie warte. Dann verließ
sie, mit mühsam unterdrücktem Unmut und ohne sich eigens von Timo durch eine Berührung oder ein Wort zu verabschieden, das
Zimmer. In der Küche stand allerdings nicht Verena, sondern, wie um ihre Laune vollends zu verderben, noch immer Andreas,
der ihr sogleich eifrig ein zweites Glas Wein in die Hand drückte und, soviel zumindest bekam sie mit, umständlich von seiner
Ex-Frau Maria und dem gemeinsamen Sohn erzählte, den er bedauerlicherweise nur selten sehen |100| dürfe. Sie blickte in seine glasigen Augen und auf seine Hände, die, wie selbständig geworden und vom Erzählen befeuert, umhergestikulierten.
Anja stand vor ihm mit verschränkten Armen, nur leicht schwankend, Aufmerksamkeit mimend, unfähig, sich einen anderen Ort
zu suchen, von zwei Bieren und eineinhalb Glas Wein auf einen einzigen Gedanken festgelegt: dass ihr Leben durch Timo verpfuscht
sei. Seit zehn Jahren sind sie zusammen, jetzt ist sie 35. Dieses Scheiß-Leben, verbracht auf den ödesten Partys mit ihm,
diesem arroganten Café-Heini! Alles dreht sich immer nur um ihn. Immer um ihn. Zuerst das unter größten Sinnkrisen abgebrochene
Studium, seine lange Zeit unter furchtbar unschlüssigen Erwägungen geschmiedeten Selbständigkeitspläne, die bescheuerten Probleme
mit seinen Eltern, die sich immerzu einmischten in ihre Beziehung. Ja, jetzt macht er, umnachtet vom Erfolg, natürlich einen
auf selbstbewusst, dieser Café-Zampano! Café-Zampano, über diesen Begriff musste sie laut und bitter lachen. Andreas blickte
daraufhin erschrocken, da er gerade wortreich von seiner Scheidung sprach und eher auf einen mitleidigen Blick eingestellt
war.
Nun trat endlich Verena in die Küche, noch glühend vom Tanzen: »Na, seid ihr euch schön am Unterhalten?« – »Du, Verena, prima
Party«, sagte Anja, unerwartet aus ihren düsteren Gedanken gerissen, »aber ich bin wahnsinnig müde. Du, ich muss langsam nach
Hause.« – »Ach was«, antwortete die Freundin zärtlich und umarmte sie. »Bevor du gehst, trinken wir noch einen Schnaps.«
|101| Der Schnaps, wie jeder leicht begreift, heiterte Anjas Stimmung keineswegs auf. Auch nicht der zweite. Und als sie danach,
nunmehr furchtbar wankend (beinahe stolperte sie über eine Flasche im Flur) erneut die Toilette anpeilte, sah sie im Augenwinkel,
dass Timo sich noch immer, und zwar nunmehr in allergrößter Lebhaftigkeit, mit Sabine unterhielt, die ihn, wie versehentlich,
am Arm berührte. Anja stürzte, erhitzt vom Alkohol und erfüllt von hässlichen Erinnerungen an vergeudet geglaubte Jahre, ins
Arbeitszimmer, stellte sich vor das überrascht wirkende Paar – und, ohne ein Wort der Erklärung hinzuzufügen, ohrfeigte sie
Timo kräftig, der sie daraufhin, halbseitig errötend, völlig entgeistert anblickte.
Was nun geschah, lässt sich rasch zusammenfassen: ungeheure Stille im Zimmer, Tausende Blicke, wie Anja schien, Nadelstichen
gleich (auch Andreas bequemte sich aus Neugierde ins Zimmer), das Herbeihasten Verenas, die ihre beste Freundin rasch ins
Schlafzimmer führte und unter allerlei tröstenden Worten zur Ausnüchterung ins Bett
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