Die schonende Abwehr verliebter Frauen oder Die Kunst der Verstellung - Soboczynski, A: Die schonende Abwehr verliebter Frauen
nicht, dass sie
sich Mutlosigkeit erlauben dürfte.«
So leicht fällt es, Witz zu zeigen! Herr Marten hat seinen Satz ganz wie Frau Kayser aufgebaut (»So gut geht es der Immobilen
Wanders GmbH & Co. KG nicht, dass …«), die grammatikalische Struktur aber mit entgegengesetztem Inhalt versehen.
Das reichte in einer derart angespannten Situation vollkommen aus, um ein fast lebhaftes Schmunzeln |105| und Gekicher unter den Konferenzteilnehmern auszulösen. Frau Meyerhoff, die Chefsekretärin, von kräftigem Körperbau, lachte
gar laut auf. Aber das tat sie für gewöhnlich bereits nach weitaus zweifelhafteren Scherzen. Ja, selbst Frau Kayser rang sich
ein unsicheres Lächeln ab, da, wie sie unmittelbar und richtig schloss, ein finsterer Gesichtsausdruck die Gunst der Kollegen
ihr gegenüber geschmälert hatte.
Immer und gern wird die Übermacht der Rhetorik beklagt. Nicht ganz zu unrecht. Jeder, der eine Polit-Talkshow verfolgt oder
ein Fernsehduell zwischen Kanzlerkandidaten, ahnt, dass nicht das schlagkräftige Argument, sondern die Geschmeidigkeit der
Sätze, die geistesgegenwärtige Pointe, der vertrauensselige Blick darüber entscheiden, wer Sympathien auf sich zu vereinen
vermag. Vor allem Witz, der in großer Dankbarkeit von Umstehenden goutiert wird, da die Welt allzuoft von Ernsthaftigkeit,
Langeweile und Unausgeglichenheit regiert wird, ist eine Waffe, die man unbedingt sich aneignen sollte. Denn grundsätzlich
schwierig ist es, wir hatten es bereits an anderer Stelle gesagt, in öffentlichen Runden jemanden zu düpieren, ohne dabei
als hässlicher Charakter zu erscheinen. Witz indes hat eine doppelte Klinge: Er macht einen für Beobachter symphatisch und
verdeckt dadurch sanft, dass er häufig nicht zum allgemeinen Vergnügen, sondern zur Schädigung eines Gegners gebraucht wird.
Denn wer möchte bestreiten, dass Frau Kayser durch den Witz von Herrn Marten verletzt wurde? Welche Entscheidung die Konferenz,
den Gebäudekomplex in Dettersheim betreffend, fällte, ahnt ja jeder: Es wurde investiert.
|106| Nun hatte, wie man weiß, Frau Kayser durchaus recht: Dettersheim harrt bis zum heutigen Tag eines S-Bahnhofes. Überraschende
Neuwahlen haben den Ausbau des Nahverkehrsnetzes in weite Ferne gerückt. Stattdessen wird nun die Stadtautobahn großzügig
ausgebaut, wovon Dettersheim allerdings, abschüssig gelegen, gar nichts hat. Der Gebäudekomplex, überaus aufwändig renoviert,
sogar neuen Stuck hatte man anbringen lassen, wartet vergeblich auf Mieter. Die Maklerei, mit der man in ähnlich hoffnungslosen
Fällen bereits gut zusammengearbeitet hatte, ist jedenfalls nicht zu beneiden. Ein gewisser Heinrich Walter engagiere sich
zwar lebhaft, aber mit wenig Erfolg. Kurzum: Die Investition beschert der Immobilien Wanders GmbH & Co. KG ein stetig
anwachsendes Defizit.
Doch schmälert diese missliche Entwicklung nicht die Macht des Witzes, sie unterstreicht nur seine Eigenart: Stets hat Witz
die Neigung, über alle Vernunft sich hinwegzusetzen. Er ist ungerecht, Mehrheitsbeschaffer, er ist undemokratisch und Merkmal
charismatischer Herrschaft.
Oft wird behauptet, Witz lasse sich nicht erlernen wie etwa Fahrradfahren oder Schwimmen. Gewiss, der wache Geist ist ein
Geschenk der Götter. Doch einige Grundmechanismen können durchaus erworben werden: Dinge spaßhaft zu übertreiben zum Beispiel
oder aber persönliche Eigentümlichkeiten (einen ländlichen Akzent, die Körpergröße, einen akademischen Titel) selbstironisch
zu kommentieren.
Doch gerade diejenigen, die sich Witz mühsam angeeignet haben, welcher ihnen gewissermaßen noch nicht zur zweiten |107| Natur geworden ist, übertreiben rasch. Weniges nur ist ärgerlicher, als Menschen, die unentwegt scherzen, als sei es ihre
ureigenste Bestimmung, die Welt zu unterhalten. Dabei sieht man am Beispiel Herrn Martens sehr gut, wie wichtig es ist, von
einem Standpunkt größter Ernsthaftigkeit direkt zum Witz zu gelangen, statt erst zu scherzen, wenn ohnehin schon gelacht wird.
Witz, in Maßen eingesetzt, gefällt so sehr, dass er Eigenschaften verzeiht, die gemeinhin wenig geschätzt werden: Angriffslust,
wie man an der Konferenz der Immobilien Wanders GmbH & Co. KG sieht, oder aber Eitelkeit. Ausgerechnet der für seine
Schüchternheit weithin bekannte Schriftsteller Franz Kafka hat dies in einem Brief an einen Verleger einst vorgeführt. Er
übergab diesem einige Manuskripte und schrieb bald
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