Die schonende Abwehr verliebter Frauen oder Die Kunst der Verstellung - Soboczynski, A: Die schonende Abwehr verliebter Frauen
gar Ihr Vorgesetzter könnte hier gleichfalls sein Mittagessen einnehmen und das Gespräch, den Kopf hinter einer
Zeitung verbergend, belauschen! Ihr Vorgesetzter, sagen Sie flüsternd, das habe er, Sebastian Senner, womöglich schon geahnt,
sei der faulste |111| Mensch unter der Sonne, indem er eigentlich nur eine herausstechende Eigenschaft habe: nämlich anfallende Arbeit mit großem
Aufwand zu verteilen, sie gewissermaßen weit von sich zu weisen und damit auch Entscheidungen, die ihm Schwierigkeiten bereiten
zu fällen, auf andere abzuwälzen. Und dass diese Verteilung unangenehmer Aufgaben zwar den Anschein größter Betriebsamkeit
mache, aber von zahlreichen Kollegen längst durchschaut worden sei als eine die eigene Überforderung dreist überdeckende Beschäftigung.
Nun muss man wissen, dass Sebastian Senner, der junge Programmierer, der während Ihrer gehässigen Rede, unsicher, wie sich
zu verhalten sei, nur bedeutungsleer nickte, vor wenigen Wochen von Ihrem Vorgesetzten aus einem Konkurrenzunternehmen abgeworben
worden war. Dem Vorgesetzten, einem leicht übergewichtigen, stets überhitzt wirkenden Manager um die fünfzig, dessen Gesicht,
als leide er unter schlimmem Bluthochdruck, oftmals errötet, ist Sebastian Senner durchaus loyal zugetan, da das Jobangebot
finanziell recht großzügig ausgefallen war. Eine verheißungsvolle Zukunft im neuen Betrieb malt er sich nunmehr in den schillernsten
Farben aus.
Ihnen ist bewusst, dass Sebastian Senner, der womöglich gar nicht so untalentiert ist, tatsächlich leicht zu einem gefährlichen
Konkurrenten heranwachsen dürfte, da er in Ihrem Spezialgebiet, dem IT-Design, in der Branche nicht den allerschlechtesten
Ruf hat.
Nun kann leicht vermutet werden, dass Ihre riskante Vorleistung, das vertrauensselige Lästern über Ihren Vorgesetzten, |112| ein Fehler war. Das jedenfalls denkt Sebastian Senner auch, der Sie im Stillen als Naivling belächelt.
Zwei Wochen später wird er von seinem Vorgesetzten zu einem kleinen Vier-Augen-Gespräch gebeten. Der Vorgesetzte, als Sebastian
Senner sein karges Büro betritt, trinkt hektisch einen Milchkaffee, kaut an einem Croissant und überfliegt die Schlagzeilen
allerlei Zeitungen, die breit aufgeschlagen auf seinem Schreibtisch liegen. Dann lehnt er sich zurück, sagt, wie angenehm
es für ihn doch sei, zu verfolgen, dass er, Sebastian Senner, sich offenbar in der Firma wohlfühle. Das Projekt, an dem er
beteiligt sei, scheine ihm zuzusagen, es mache große Fortschritte.
So werden zunächst einige belanglose Freundlichkeiten ausgetauscht. Was er denn für einen Eindruck von seinen Kollegen habe,
fragt der Vorgesetzte erst gegen Ende des Gesprächs auf beinahe beiläufige Weise. Hier nun, unter scheinbaren Gewissensbissen,
blickt Sebastian Senner gequält, als würde es ihm schwer fallen, sich offenherzig zeigen zu dürfen.
»Das bleibt natürlich unter uns!«, sagt nun rasch der Vorgesetzte. Und Sebastian Senner, der Sie gleichfalls als Konkurrenten
erkannt hat, berichtet nunmehr von dem Gespräch, das er vor einiger Zeit mit Ihnen geführt hat und sagt noch, dass sein Vertrauen
zu ihm, dem Vorgesetzten so groß sei, dass er es als Pflicht ansehe, ihm mitzuteilen, dass Sie gegen ihn aufs Unschönste intrigierten.
»So?«, sagt der Vorgesetzte, beißt hektisch eine Ecke aus seinem Croissant und blickt Sebastian Senner zu dessen völliger |113| Überraschung sehr ernst, ja beinahe feindselig an. Dann bittet er ihn, einen überaus wichtigen Telefontermin vorgebend, aus
dem Büro.
Der Vorgesetzte ist aufgrund einer langjährigen Zusammenarbeit naturgemäß Ihnen mit weitaus größerem Vertrauen zugeneigt als
einem neuen Kollegen, den er noch nicht recht einschätzen kann. Ja, er kommt zu dem Schluss, während er nunmehr allein im
Zimmer mit vager Melancholie aus dem Fenster blickt, dass Sebastian Senner sich Ihr gehässiges Lästern nur ausgedacht hat,
um Ihnen zu schaden. Ach, es sei entsetzlich, denkt der Vorgesetzte noch, sich mit Unbehagen über seinen Bauch streichend,
dass mit jeder Neueinstellung so ein Risiko verbunden sei.
Der Vorgesetzte ist übrigens alles andere als faul; das Schlimmste, was man ihm nachsagen kann, ist, dass er sich, ohne diese
jemals gelesen zu haben, mit einigem Erfolg eine wichtige Maxime Graciáns zu eigen gemacht hat: »Was Gunst erwirbt, selbt
verrichten, was Ungunst, durch andere.«
Wer in den nächsten Wochen und Monaten mit
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