Die schonende Abwehr verliebter Frauen oder Die Kunst der Verstellung - Soboczynski, A: Die schonende Abwehr verliebter Frauen
dunklen Seelentiefe: Wahrscheinlich deshalb neige er, habe David Schweikert ihr anvertraut, bisweilen
zur Schwermut und dem Gefühl größter Verlorenheit, die man nur mit einem aus der Erdumlaufbahn gestoßenen und in unendlichen
Weiten umherirrlichternden Raumschiff vergleichen könne.
Das klinge natürlich jetzt, sagte Annette, beinahe ein bisschen albern, nacherzählt klingen solche Sachen immer albern. Aber:
Sie hätten ausgemacht, sich bereits nächstes Wochenende wiederzutreffen. Hamburg, habe er ihr im Halbschlaf gesagt, während
sie durch sein Haar strich, sei eine Reise wert. Man habe ausgemacht, die St.-Petri-Kirche zu besichtigen. Allein die prächtige
Glocke der Kirche, die den Aposteln Peter und Paul gewidmet sei, rechtfertige eine ausführliche Begehung.
PS: Sehr besorgt, ob es David wohl gut gehe, war Annette, als sie nur einen Tag vor der vereinbarten Wiederbegegnung eine
SMS von ihm erhielt, in der sinngemäß stand, dass er derzeit wahnsinnig gestresst sei, daher absagen müsse, sich eine Woche
später aber melden würde.
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|141| 23 ANDERE IN RAGE BRINGEN
W ir sind immer dann aufs Äußerste gereizt, wenn wir eines Argumentes sicher sind, uns aber widersprochen wird. Wenn uns sicher
scheinende Tatsachen bösartig verdreht werden, geraten wir in Rage. Was beinahe immer unvorteilhaft ist, denn so gut wie jeder
ist hässlich, der sich aufregt.
Der Tag begann eigentlich ganz gut für Sascha, unseren jungen Anwalt.
Er musste erst mittags ins Büro und nahm diesen schönen Umstand zum Anlass, einen ziellosen Spaziergang durch das Viertel
zu machen, in irgendeinem dieser neuen Cafés, die nun überall eröffnet wurden, würde er sich vielleicht seiner geschätzten
Wochenzeitung annehmen. Die klemmte er sich jedenfalls unter den Arm. Nur diese eine sehr bestimmte Lounge, bestrichen in
den sanftesten Pastelltönen, würde er meiden. Die ist immer von Müttern und ihren, den Weg zur Toilette verstopfenden Kinderwagen
belegt und erinnert ihn an seine Ex-Freundin Kirsten, da er mit ihr dort so manchen Sonntagnachmittag verbracht hat. Gott,
was ist Sascha froh, diese Beziehung nun halbwegs überwunden zu haben.
|142| Sie endete übrigens derart klischeehaft, dass der Erzähler ein wenig zögert, darüber Bericht zu erstatten.
Nun gut: Eines Tages hatte sich Sascha in allerdüsterster Geistesverfassung, da er auf denkbar unglückliche Weise einen Prozess
verloren hatte, früher als zunächst beabsichtigt auf den Nachhauseweg gemacht, um sich von Kirsten ein wenig trösten zu lassen.
Vielleicht könnten sie essen gehen oder sich einen Film ausleihen, dachte er. Im Hausflur prallte er mit einem jungen Mann
zusammen, der es offenbar sehr eilig hatte.
Wie er bereits kurz darauf von Kirsten erfahren sollte, hieß er Christian. Die Indizien waren eindeutig: Kirsten, als er in
die Wohnung trat, saß (es war früher Nachmittag) nur mit einem Bademantel bekleidet in der Küche, sprang aber sogleich auf,
blickte ihn mit offenem Mund an, eilte ins Schlafzimmer, sagte, wild umhergestikulierend, sie fühle sich krank, hätte den
ganzen Tag schon unter den schlimmsten Kopfschmerzen und Fieberattacken im Bett gelegen usw. Doch natürlich bemerkte Sascha
sehr genau, wie sie während ihrer Ausführungen mit einer linkischen Fußbewegung ein auf dem Parkettboden hässlich abgestreift
liegendes Kondom unter das Bettgestell zu schieben suchte und dabei beinahe auch noch gestürzt wäre. Wir wollen nicht genauer
werden.
Es störte Sascha an diesem Morgen also nur, dass ihn in seinem Stadtteil so vieles an Kirsten erinnerte (er war nach der Trennung
nur wenige Straßen weitergezogen, vielleicht ein Fehler). Der Friseursalon etwa, den er gleich passieren |143| würde. Da ließ sich Kirsten immer die Haare schneiden. Sascha war da noch nie drin gewesen. Kirsten erzählte ihm einmal mit
Begeisterung, dass dort manchmal ein Pianist an einem Klavier sitze. Das erschien Sascha etwas übertrieben. »Mehr was für
Frauen«, dachte er damals.
Er blickte erstmals durch die Fensterscheibe, sie war ziemlich dunkel getönt, aber er konnte eine Frau erkennen. Womöglich
eine Angestellte. Sie trug ein T-Shirt mit dem Schriftzug »I prefer sex to gender«. Sascha schüttelte den Kopf, musste dann
aber doch lachen.
»Eine Cola light, bitte«. Noch zwei Stunden würde sich Sascha gönnen, irgendwann musste er ja schließlich diese ganzen Überstunden
abfeiern. Wie
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