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Die schonende Abwehr verliebter Frauen oder Die Kunst der Verstellung - Soboczynski, A: Die schonende Abwehr verliebter Frauen

Die schonende Abwehr verliebter Frauen oder Die Kunst der Verstellung - Soboczynski, A: Die schonende Abwehr verliebter Frauen

Titel: Die schonende Abwehr verliebter Frauen oder Die Kunst der Verstellung - Soboczynski, A: Die schonende Abwehr verliebter Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Soboczynski
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ortskundige Rentnerin, sagte, der Turm, auf dem man
     stehe, rage als höchster Punkt des nördlichen Hochlands, des sogenannten Dornbuschs, über die südliche Tiefebene der Insel.
     Man erblickte reetgedeckte Fischerhäuser, die sich als kleine braune Punkte in der Landschaft verloren. »Dort ist übrigens
     Dänemärk«, sagte die Fremdenführerin und wies mit dem Zeigefinger auf das bewegte Meer, das die Besucherschar, die – bis auf
     Annette Kirchmann und einen jüngeren Mann – aus Hochbetagten sich zusammensetzte, mit zusammengekniffenen Augen zu erspähen
     suchte. Tatsächlich schälte sich mit ein wenig Einbildungskraft die Küstenkontur einer der dänischen Inseln aus dem nebligen
     Horizont.
    Allerhand erfuhr man bei der Besichtigung der in biedermeierlicher Behaglichkeit eingerichteten Räumlichkeiten, die einst
     einem Künstler gehört hatten, der schon zu Lebzeiten eher für seine Geselligkeit als sein Schaffen gerühmt worden war. Der
     Dichter Thomas Mann habe für einige Tage hier gewohnt, auch Albert Einstein sei Gast gewesen und Sigmund Freud. Die Fremdenführerin
     verstrickte sich in ausufernde, mit Detailreichtum versehene Erzählungen über die einstigen Ferienaufenthalte der berühmten
     Gäste, nur unterbrochen von Zwischenbemerkungen der Besucher, die sich eine |138| größere Lautstärke des Vortrags erbaten, die Akustik im Haus sei schlecht.
    Annette Kirchmann, sie wusste selbst nicht recht, warum, beobachtete den jüngeren Mann, der, statt den Ausführungen der Fremdenführerin
     zu folgen, sich im Empfangsraum des Hauses, in dem man mittlerweile angelangt war, mit, wie ihr schien, größter Versunkenheit
     einen grazilen, in die Wand eingelassenen Ofen betrachtete, durch dessen bunte Glimmerscheiben man sich einst am Spiel der
     Flammen erfreut haben mochte; über dem Kamin hing eine verwaiste Kachel, die der Mann vorsichtig betastete. Sie war bemalt:
     Adam und Eva wurden expressionistisch aus dem Paradies vertrieben. Dann folgte sein Blick, nicht weniger andächtig, dem vegetabilen
     Deckenstuck, der die ewige Verschmelzung von Kunst und Leben, dem sich der Jugendstil um die Jahrhundertwende emphatisch verschrieben
     hatte, versinnbildlichte.
    Er heiße David Schweikert, sagte er, ihr die Hand reichend. Und Annette Kirchmann, entsetzt, dass er so unvermittelt auf sie
     zugetreten war, sagte nur: »Ja.«
    Eins sei zum anderen gekommen, erzählte Annette Kirchmann am nächsten Tag ihrer Freundin, die sich die größten Sorgen gemacht
     hatte, da sie die Nacht über weggeblieben war. Zwar hatte ihr Annette eine SMS geschrieben, in der knapp angekündigt worden
     war, dass sie derart verspätet zurückkehren würde, doch erschien ihr die ganze Angelegenheit höchst ungewöhnlich.
    Nun, erklärte Annette, nach der Führung, die sich noch sehr in die Länge gezogen habe, sei sie mit ihrer Bekanntschaft |139| im einzigen Lokal des Ortes eingekehrt. Dort habe ihr der Fremde erzählt, dass er in Hamburg über den Jugendstil forsche und
     sich aus Recherchegründen schon lange dieses Inselhaus einmal habe anschauen wollen. Seine Erwartungen seien übertroffen worden.
    Man habe über die Maßen getrunken, bis hinein in die tiefste Nacht über den Jugendstil und so manches andere gesprochen. Unter
     anderem darüber, dass sich David Schweikert, bevor er sich, aus Bildungsleidenschaft, wieder an die Hamburger Uni begab, eine
     recht beachtliche Karriere als Maler in der Hauptstadt hingelegt hatte. Ein ihr zufällig bekanntes Bild (es hatte in Fachkreisen
     gewisses Aufsehen erregt) zeige einen Ochsen am Strand. Das sei eine schöne Überraschung gewesen, den Künstler mal leibhaftig
     zu treffen. Ein paar Jahre älter als sie selbst sei er. Er gefalle ihr. Auch äußerlich. Der habe was.
    Kurzum: Man sei schließlich derart beschädigt gewesen, dass es sich regelrecht angeboten hätte, der Aufforderung des Wirtes
     nachzukommen, in einem der über der Gaststätte befindlichen Gästezimmer zu nächtigen, anstatt in die regnerische Nacht zu
     treten.
    »Ah«, sagte die Freundin knapp. Und Annette erzählte noch, wie zu sehr später Stunde sich einige Sätze des Fremden ihr besonders
     eingeprägt hätten. Der Fremde habe erzählt, was sie sehr gut aus eigener Lebenserfahrung kannte, wie sehr er sich schon immer
     als Außenseiter gefühlt, immer einen Abgrund gespürt habe zwischen dem schon bedeutungsleeren Gerede der Kinder in der Schule,
     später dem der |140| Kollegen und der eigenen,

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