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Die schonende Abwehr verliebter Frauen oder Die Kunst der Verstellung - Soboczynski, A: Die schonende Abwehr verliebter Frauen

Die schonende Abwehr verliebter Frauen oder Die Kunst der Verstellung - Soboczynski, A: Die schonende Abwehr verliebter Frauen

Titel: Die schonende Abwehr verliebter Frauen oder Die Kunst der Verstellung - Soboczynski, A: Die schonende Abwehr verliebter Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Soboczynski
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macht sich durch
     halbwegs höfliches Verhalten ja nicht unbeliebt, was einem immer von Nutzen ist. Wir hatten
halbwegs
gesagt – denn die filigranen Regeln großbürgerlicher Etikette, bei aller Neigung, sie heute hochzuschätzen, sind weitestgehend
     in Vergessenheit geraten. Welcher Herr, wenn er nicht der hanseatischen Oberschicht angehört, würde sich heute in einem Restaurant
     kurz erheben, wenn die Dame Anstalten macht, sich auf der Toilette die Nase zu pudern? Er würde die irritierte Frage ernten,
     warum er schon beabsichtige zu gehen, ob der Abend ihm nicht gefalle usw.
    Derartige Exaltiertheiten, obgleich auch viele Benimmbücher |151| derzeit Gegenteiliges behaupten, gilt es unbedingt zu meiden, da sie den Eindruck höchster Angestrengtheit erwecken. Wenn
     die Dame aufsteht, um sich die Nase zu pudern, bleiben Sie um Gottes willen sitzen!
    Schwieriger verhält es sich bei Verhaltensweisen, die noch vor wenigen Jahren verpönt waren, nunmehr aber tatsächlich eine
     wunderliche Wiederkehr erleben. Hilft man einer jungen Frau aus dem Mantel? Da gehen die Meinungen weit auseinander, und man
     rettet sich am besten dergestalt, dass man sein Anerbieten ironisch unterwandert. Man könnte, es ist nur ein Vorschlag, zum
     Beispiel sagen: »Gnädige Frau, darf ich Ihnen aus dem Mantel helfen?« Das ist recht amüsant, denn selbstredend duzt sich das
     Paar, das zum Essen schreitet. Ja, es wäre sogar falsch zu sagen, es sei irgendwann zum Du übergangen, vielmehr, wie dies
     in vielen gesellschaftlichen Kreisen üblich geworden ist, man hat sich schon immer geduzt.
    Die Wiederkehr der Höflichkeit hat insofern zu einer gewissen Komplikation im Umgang – vor allem der Geschlechter miteinander
     –, geführt, da es nunmehr gilt, unprätentiös und höflich zugleich zu sein; eine Paradoxie, die nur durch Ironiesignale einigermaßen
     aufgelöst werden kann. Uns scheint, dass trotz des neu erwachten Formbewusstseins in Liebesangelegenheiten die Gefahr immer
     noch weitaus größer ist, sich durch übertriebene Aufmerksamkeitsbekundungen in Misskredit zu bringen als durch eine charmante
     Nachlässigkeit. In den meisten Fällen ist es völlig ausreichend, einen Willen zur Höflichkeit anzuzeigen, weshalb wir |152| jetzt auch nicht dazu übergehen, die richtige Verwendung des Bestecks zu erklären. Nur eine Unsitte, da sie dem Erzähler ab
     und an aufgefallen ist, sei angemerkt: Unfein war und ist es und wird es immer bleiben, eine Serviette als Taschentuch zu
     verwenden – egal ob sie aus Stoff oder aus Papier besteht, egal ob man volltrunken an der Imbissbude steht oder volltrunken
     in einem von allerlei Sternen prämierten Restaurant eine Gelatine vom Stubenküken im Pumpernickelmantel mit Gänsestopfleber
     und Pflaumen-Essigsauce genießt.
    Höflichkeit ist für den Verstellungskünstler von ausgeprägtem Interesse, wenn sie gezielt als Machtinstrument gebraucht wird
     und nicht als selbstverständliche Beiläufigkeit im Alltag fungiert. Im Berufsleben zeigt Höflichkeit ihre eigentümliche Macht.
     Hier, sofern sie einem Geheimwissen gleich zelebriert wird, erzeugt sie mit Leichtigkeit eine bisweilen erwünschte Anspannung
     zwischen den Gesprächspartnern. Sie vermag auf perfide Weise grob zu sein, da sie den Unkundigen herabwürdigt. Da Höflichkeit
     sich aber als eine Respektbekundung tarnt, lässt sie sich kaum kritisieren. Sie provoziert ohnmächtige Verlegenheiten noch
     immer da, wo ein Aufsteiger, etwa während eines Vorstellungsgesprächs, seine Herkunft zu entlarven sich genötigt sieht.
    Die Chefin, etwa die eines Meinungsforschungsinstituts, die einem jungen Mann die Räumlichkeiten der Firma zeigt, mag sagen:
     »Gehen Sie ruhig vor.« Sie wird erwarten, dass der junge Mann sagt: »Aber nein, ich bitte Sie!« Sofern er einfach beherzt
     vorangeht, dürfte noch immer das gute alte Naserümpfen |153| zum Einsatz kommen, das Schiedsurteil, ob man auch in Zukunft im guten Salon der Dame zu erscheinen die Ehre haben darf.
    Die Wiederkehr der Höflichkeit, wie ironisch gebrochen auch immer, ist auch die Wiederkehr der Schwermut, der Wut, der Intrige
     des Aufsteigers.

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    |154| 25 SEINE MEINUNG ÄNDERN
    N icht wenige rühmen sich ihrer Prinzipientreue, einer unverrückbaren Meinung, ihres innersten Gefühls. Gewiss: Eine derartige
     Verengung von Handlungsoptionen vereinfacht die in unendliche Möglichkeiten zerfallende Welt – doch ist derartiger Rigorismus
     zumeist mit Nachteilen

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