Die schonende Abwehr verliebter Frauen oder Die Kunst der Verstellung - Soboczynski, A: Die schonende Abwehr verliebter Frauen
außerordentlich warm dieser Februar doch war! Dass man schon draußen sitzen konnte! Er knöpfte sich das Jacket
auf, dehnte sich, schlug die Zeitung auf, blätterte, blieb schließlich an einem unglaublich spannenden Porträt über den Schauspieler
Edgar Selge hängen. Er las die Autorenzeile. Komplizierter Name, aber guter Autor, muss man sich merken, dachte er.
Kurze Zeit später, er war am vorletzten Absatz angelangt, wurde Sascha jäh aus der Lektüre gerissen. Er blickte auf das Display
seines Handys. Sein Chef: Ob er, Sascha, nicht doch schon jetzt ins Büro kommen könne? Eine Klientin beharre darauf, ihn sofort
zu sprechen. Sie sei kaum zu beruhigen.
Wer es denn sei, fragte Sascha.
»Frau Karst«, sagte sein Chef. Sie besuche gerade ihren Sohn in der Stadt und sei deshalb persönlich vorbeikommen. |144| Er sei überrascht, sagte der Chef noch, er dachte, der Fall sei abgeschlossen.
»Ist er auch«, sagte Sascha.
»Egal, ich möchte, dass du sofort zu uns kommst.« Frau Karst sitze in seinem Büro und wolle es erst wieder verlassen, wenn
sie mit ihm, Sascha, gesprochen habe. Eben habe sie, als man sie höflich zum Gehen bewegen wollte, sogar gebrüllt, mit der
Polizei gedroht usw.
Der Fall Karst. Furchtbare Geschichte. Sascha saß in seinem Auto, der Verkehr war zäh, er fluchte. Die ganze Sache hatte ihm
vor längerer Zeit Kirsten eingebrockt. Damals wohnte sie noch in einer WG, man war aber bereits ein Paar. Ihr Mitbewohner
hatte Kirsten darum gebeten, Sascha zu fragen, ob er sich eines Problems seiner Eltern annehmen könne. Er wollte ihr damals
diesen Gefallen tun, ja, warum denn nicht.
Sascha war neu in der Kanzlei damals, ein kniffliger Fall. Eigentlich ideal, um sich zu profilieren. Frau Karst, die Mutter
des WG-Mitbewohners, hatte damals am Telefon in rheinischem Tonfall über die Frühpensionierung ihres Mannes geklagt. Die sei
nämlich, behauptete sie weinend, nicht ganz freiwillig vonstatten gegangen. Vielmehr sei ihr Mann dazu von seinem ehemaligen
Arbeitgeber, einem großen Telekommunikationsunternehmen, gezwungen worden.
Spannend, dachte Sascha damals. Kleine Leute gegen einen großen Konzern. Das passte gut in seine Vorstellung des eigenen Rechtsempfindens.
|145| Irgendjemand hupte. Grün. Er gab Gas. Sascha dachte an die Gerichtsverhandlung, zu der es kürzlich nach einem langen Hin und
Her gekommen war. Ein einziges Desaster. Als Herr Karst, wegen dem ja die ganze Sache veranstaltet worden war, in den Zeugenstand
gerufen wurde, sagte dieser, zur Verblüffung seiner Frau, die ihn daraufhin versteinert anblickte, dass er keineswegs von
seinem Arbeitgeber gezwungen worden sei, den Betrieb zu verlassen. Vielmehr, er sei freiwillig gegangen.
Warum er dann prozessiere, fragte der Richter irritiert.
Herr Karst, die Frage ignorierend, sagte, er wolle seine Ruhe. Außerdem habe er Hunger.
»Frau Karst«, sagte Sascha, »was für eine Überraschung!« Sein Chef saß neben ihr auf einer Sitzecke in seinem Büro, die Stirn
in Falten gelegt, murmelte: »Endlich.«
»Sie werden doch«, sagte Sascha halb scherzend zu beiden, »den Prozess nicht neu aufrollen lassen wollen?«
»Nein, das nicht«, sagte Frau Karst, zeigte dann erregt auf Briefe, die sie mitgebracht und auf einen kleinen, runden Tisch
gelegt hatte. Was denn die ganzen Rechnungen sollten, fragte sie. Dann verschränkte sie die Arme.
»Nun«, sagte Sascha ruhig, »Sie haben den Prozess verloren. Wir waren natürlich besorgt, da Sie nicht gleich die Prozesskosten
beglichen haben. Deshalb die Mahnungen. Aber«, führte er weiter aus, seinen Chef dabei fragend anblickend, »wir können uns
womöglich auf eine Ratenzahlung verständigen, sofern …«
|146| Frau Karst unterbrach ihn, rief laut: »Das sollte doch umsonst sein!«
»Wie meinen Sie das?«, fragte Sascha errötend.
»Das sollte doch umsonst sein!«, wiederholte Frau Karst.
Der Chef, nachdem er kurz auf seine Uhr geschaut hatte, sagte: »Frau Karst möchte uns sagen, dass du ihr zugesichert hättest,
unsere Kanzlei würde die Prozesskosten, unabhängig vom Ausgang des Rechtsstreits, in vollem Umfang übernehmen.« Den Unterlagen
nach, der Chef hielt sie in der Hand (ein dicker, schwarzer Ordner), sei zwar keineswegs Derartiges vereinbart worden. Es
hätte ihn auch gewundert. Und mündlich sei derlei sicherlich auch nicht zur Sprache gekommen … Letzteres klang doch zweifelnd.
Dann fragte sein Chef: »Oder ist da was
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