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Die schonende Abwehr verliebter Frauen oder Die Kunst der Verstellung - Soboczynski, A: Die schonende Abwehr verliebter Frauen

Die schonende Abwehr verliebter Frauen oder Die Kunst der Verstellung - Soboczynski, A: Die schonende Abwehr verliebter Frauen

Titel: Die schonende Abwehr verliebter Frauen oder Die Kunst der Verstellung - Soboczynski, A: Die schonende Abwehr verliebter Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Soboczynski
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Bettszene. Das zweifache Piepsen: »Gerne, aber im Moment wahnsinnig viel
     Stress, melde mich nächste Woche. Liebe Grüße!«
    Wie kompliziert. Na, dann halt nicht! Pech gehabt.
    Genau. So ist es recht gedacht. Sie werden schließlich jetzt nicht ins Schlafzimmer gehen und sich vor den großen Spiegel
     stellen, nicht mit kaltem Blick abwägen, ob die zwei Kilo, die sie kürzlich zugenommen haben, störend ins Auge springen. Sie
     werden nicht ihr Gesicht, die paar Falten, die man mit Anfang dreißig so hat, ihrem scharfen Urteil unterwerfen. Nur weil
     irgendein dahergelaufener Mann Sie nicht gleich mit Blumensträußen bedrängt!
    Sie werden etwas ganz anderes tun, etwas, das Ihrer gesunden Selbsteinschätzung eher entspricht. Da Sie nämlich sehr genau
     wissen, dass Prinzipien immer eines sehr weiten Deutungsspielraums bedürfen, schreiben Sie nun Timo zurück: »Heute 9 Uhr in
     der *Bar.« Ziemlich forsch, ja, aber da Sie schon des Öfteren gedacht haben, dass Ihnen die Wesenszüge einer Femme fatale
     besonders gut stehen, sind Sie mit der SMS ziemlich zufrieden. Und wenngleich die Antwort |158| mit leicht ironischem Unterton abgefasst war, durchfuhr Sie ein kleines Triumphgefühl, als Sie lasen: »Zu Befehl!«
    In gewisser Hinsicht kann diese Geschichte allegorisch für alle Maximen dieses Buches einstehen. Denn natürlich beansprucht
     keine von ihnen Geltung an sich. Der kluge Verstellungskünstler hält sich niemals sklavisch an seine eigenen Regeln, das würde
     seinen Handlungsspielraum allzu sehr einengen. Er achtet sorgsam darauf, dass er seine Maximen stets geschmeidig hält. Denn
     es kommt immer auf den Kontext an, und Meister ist er gerade darin, sich mit seinem kühlen Analyse-Instrumentarium auf diesen
     einzustellen.
    Erinnern Sie sich noch an den Verlagsleiter? Gleich drei Möglichkeiten, sich zu verhalten, je nachdem, wie sich sein Verhandlungspartner
     verhalten würde, hat er vorab einkalkuliert. Er musste es bis zu einem gewissen Grad vom Widerstand des Kai Lantzer abhängig
     machen, wie hoch dessen Gehaltserhöhung ausfallen dürfte.
    Der Maler, den Annette Kirchmann kennengelernt hatte, verführte sie mit seiner geheimnisvollen Aura, da er zu Recht ahnte,
     dass mit einem humorvollen Anstrich bei ihr wenig auszurichten gewesen wäre – zu sehr verlangte auch die außerordentliche
     Situation (zwei verlorene Seelen auf einer Insel!) die Überhöhung ins Dramatische.
    Und Frau Karst? Nun, sie hätte ihre Provokationen Sascha gegenüber gewiss gezügelt, hätte sie gemerkt, dass sie an ihm abgeprallt
     wären. Sie hätte, mit einer rabulistischen Wendung, dann eher eine mitleidige Rührung bei unserem Anwalt zu erzeugen versucht,
     durch die weinerliche Darlegung |159| ihrer Lebensumstände (die Krankheit ihres Mannes, die Jobprobleme ihres Sohnes usw.).
    Der Verstellungskünstler ist flexibel. Er vermag mit dem Strom oder gegen ihn zu schwimmen, je nachdem, was erfolgversprechender
     ist. Seine Prinzipienlosigkeit ist ihm Prinzip. Immer hat er eine letzte Karte, die er auszuspielen vermag.

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    |160| 26 PEINLICHKEITEN VERKRAFTEN
    E in sehr guter Professor, Experte für die französische Literatur des 19. Jahrhunderts, mit allerhand Preisen dekoriert, geliebt
     von seinen Studenten, beehrt mit Festschriften zu runden Geburtstagen, gab, nachdem die Berufung eines mittelmäßigen Kollegen
     an seiner Universität trotz seiner ausdrücklichen Missbilligung vollzogen worden war, dem heftigen Werben einer anderen Universität
     nach, die ihm nicht nur eine deutlich bessere Ausstattung seines Lehrstuhls zugesagt hatte, sondern die überdies in einer
     Metropole lag, in die Karl-Heinz Wettering, so hieß der Professor, zu ziehen schon seit langer Zeit begehrte, da er sich,
     vom Einerlei des Alltags einer Kleinstadt gelangweilt, durchaus vorstellen konnte, öfter als dies bislang möglich gewesen
     war, an den Empfängen der Kulturwelt teilzunehmen und einen regen Austausch mit Kollegen zu unterhalten.
    Allerhand war in seinem neuen Büro einzurichten, neue Computer, Sessel, freundliche, helle Möbel wurden geliefert, nachdem
     man mit peinlichster Sorgfalt die im ehrwürdigen Altbautrakt der Universität befindlichen Räume renoviert hatte.
    Die Antrittsvorlesung war ein voller Erfolg. Denn obgleich |161| sich Karl-Heinz Wettering der ganzen Würde, die seiner Erscheinung eigen war, bewusst war (man konnte mit einigem Recht in
     diesem Fall von einem Mann in den besten Jahren sprechen),

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