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Die Schopenhauer-Kur

Die Schopenhauer-Kur

Titel: Die Schopenhauer-Kur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irvin D. Yalom
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Anspruch auf Ruhm erheben konnte.
    Nun, eines Sonntags kam ein reicher Adliger zu spät in das Dorf, um die Predigt zu hören. Wie er so, offensichtlich enttäuscht, vor der Kirche stand, trat ein älterer Dorfbewohner auf ihn zu und sagte ihm, er solle nicht verzweifeln, denn der junge Gänsehirt Johann könne ihm die Predigt wiederholen. Und er holte Johann, der tatsächlich den gesamten Vortrag wortwörtlich wiedergab. Der Baron war so beeindruckt von dem erstaunlichen Gedächtnis
des Gänsehirten, dass er beschloss, Johanns Ausbildung zu finanzieren, und ihn nach Pforta schickte, auf ein bekanntes Internat, das später von vielen berühmten deutschen Denkern besucht werden sollte, unter anderem auch von Friedrich Nietzsche, der Thema unserer nächsten Vorlesung ist.
    Johann tat sich in der Schule und später an der Universität hervor, aber als sein Gönner starb, war er wieder mittellos und nahm eine Stellung als Privatlehrer in einem Haushalt an, in dem er einem jungen Mann die Philosophie von Kant nahebringen sollte, den er selbst noch nicht gelesen hatte. Schon bald war er hingerissen vom Werk des göttlichen Kant . . .«
    Philip schaute unvermittelt von seinen Notizen auf, um seine Zuhörer zu mustern. Als er keinen Schimmer der Erkenntnis in ihren Augen sah, fauchte er sein Publikum an:
    »Hallo, jemand zu Hause? Kant. Immanuel Kant. Kant, Kant, Kant, erinnern Sie sich? Er bedeutete dem Studenten, K-a-n-t an die Tafel zu schreiben . Wir haben letzte Woche zwei Stunden mit ihm verbracht. Kant, neben Platon der größte Philosoph auf der Welt. Ich gebe Ihnen mein Wort: Kant wird in der Prüfung vorkommen. Aha, das war wohl das Richtige . . . ich sehe, dass sich Leben regt, Bewegung, ein, zwei Augen, die sich öffnen. Einen Stift, der Kontakt mit Papier aufnimmt.
    Also, wo war ich? Ach ja. Bei dem Gänsehirten. Als Nächstes wurde Fichte eine Position als Privatlehrer in Warschau angeboten, und er ging, da er mittellos war, die ganze Strecke zu Fuß, doch bei seiner Ankunft verweigerte man ihm die Anstellung. Da er nur einige hundert Kilometer von Königsberg entfernt war, beschloss er, dorthin zu laufen, um den Meister persönlich kennen zu lernen. Nach zwei Monaten traf er in Königsberg ein und klopfte
kühn an Kants Tür, aber ihm wurde nicht aufgetan. Kant war ein Gewohnheitsmensch und nicht geneigt, unbekannte Besucher zu empfangen. Letzte Woche habe ich Ihnen von der Regelmäßigkeit seines Tagesablaufs berichtet  – der so gleichbleibend war, dass die Bewohner der Stadt ihre Uhren nach ihm stellen konnten, wenn sie ihn auf seinem täglichen Spaziergang sahen.
    Fichte nahm an, dass ihm der Einlass verwehrt wurde, weil er kein Empfehlungsschreiben dabei hatte, und so beschloss er, selbst eines zu verfassen, um zu Kant vorgelassen zu werden. In einem außerordentlichen Ausbruch kreativer Energie schrieb er sein erstes Manuskript, den berühmten Versuch einer Kritik aller Offenbarung, in dem er Kants Ansichten über Ethik und Pflicht auf die Religion anwandte. Kant war so beeindruckt von der Arbeit, dass er nicht nur einwilligte, sich mit Fichte zu treffen, sondern ihn auch zur Veröffentlichung ermutigte.
    Auf Grund eines seltsamen Missgeschicks, das wahrscheinlich auf einen Vermarktungstrick des Verlegers zurückzuführen ist, erschien die Kritik anonym. Das Werk war so brillant, dass Kritiker und Leser es irrtümlich Kant selbst zuschrieben. Schließlich war Kant gezwungen, öffentlich zu erklären, dass nicht er der Verfasser dieses hervorragenden Textes sei, sondern ein sehr begabter junger Mann namens Fichte. Kants Lob sicherte Fichtes Zukunft in der Philosophie, und anderthalb Jahre später wurde ihm eine Professur an der Universität Jena angeboten.«
    »Das«, Philip blickte mit einem ekstatischen Gesichtsausdruck von seinen Notizen auf und stieß dann, unbeholfen Enthusiasmus andeutend, seinen Zeigefinger in die Luft, »das nenne ich ein Debüt!« Keiner der Studenten schaute auf oder gab sonstwie zu erkennen, dass er Philips kurze, linkische Zurschaustellung von Begeisterung registriert hatte. Falls er von
der Teilnahmslosigkeit seiner Zuhörer entmutigt war, ließ Philip sich nichts anmerken, sondern fuhr gelassen fort:
    »Und nun denken Sie an etwas, das Ihnen mehr am Herzen liegt – sportliche Debüts. Wer hat die ersten großen Erfolge von Chris Evert, Tracy Austin oder Michael Chang vergessen, die mit fünfzehn oder sechzehn im Tennis Grand-Slam-Turniere gewannen? Oder die

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