Die Schopenhauer-Kur
Pam vermisse«, sagte Bonnie. »Sie war diejenige, die immer wusste, was zu tun war – und mochte die Situation noch so unangenehm sein.«
»Komisch, ich habe vorhin auch an sie gedacht«, sagte Julius.
»Das muss Telepathie sein«, sagte Rebecca. »Erst vor einer Minute ging mir der Gedanke an Pam durch den Kopf. Es war, als Julius über Erfolge und Misserfolge sprach.« Sie wandte sich Julius zu. »Ich weiß, dass sie in unserer Familie hier Ihr Lieblingskind ist – das ist keine Frage, es ist ganz offensichtlich. Mich interessiert, ob Sie das Gefühl haben, bei ihr versagt zu haben – Sie wissen schon, weil sie für zwei Monate ausgestiegen ist, um eine andere Form von Therapie auszuprobieren, weil wir ihr nicht helfen konnten. Das kann doch nicht positiv für Ihr Selbstwertgefühl gewesen sein.«
Julius deutete auf Philip. »Vielleicht sollten Sie ihn aufklären.«
»Pam spielt eine wichtige Rolle hier«, sagte Rebecca zu Philip, der ihren Blick nicht erwiderte. »Sowohl ihre Ehe als auch die Beziehung zu einem Liebhaber gingen schief. Sie beschloss, sich scheiden zu lassen, aber dann wollte der Liebhaber seine Ehefrau doch nicht verlassen. Sie war wütend auf beide Männer und Tag und Nacht von Gedanken an sie besessen. So sehr wir es auch versuchten, wir haben keine Möglichkeit gefunden, ihr zu helfen. In ihrer Verzweiflung reiste sie nach Indien, um bei einem berühmten Guru in einem Meditationszentrum Hilfe zu suchen.«
Philip reagierte nicht.
Rebecca wandte sich wieder Julius zu. »Also, wie ging es Ihnen bei ihrer Abreise?«
»Wissen Sie, bis vor etwa fünfzehn Jahren wäre ich sehr nervös gewesen – mehr als das, ich hätte vielleicht sogar heftig dagegen opponiert und behauptet, ihre Suche nach einer anderen
Form von Erleuchtung sei nur Widerstand gegen die Gruppe. Aber ich habe mich geändert. Inzwischen bin ich der Meinung, dass ich jede Hilfe brauche, die ich bekommen kann. Und ich habe festgestellt, dass die Hinwendung zu einer anderen Form von Wachstum, auch zu richtig verrückten Sachen, oft Neuland für unsere therapeutische Arbeit erschließen kann. Und natürlich hoffe ich, dass das bei Pam der Fall ist.«
»Womöglich war es keine verrückte, sondern eine hervorragende Idee von ihr«, sagte Philip. »Schopenhauer hatte eine positive Einstellung zu fernöstlichen Meditationstechniken, die darauf abzielen, den Geist zur Ruhe kommen zu lassen, Illusionen zu durchschauen und die Kunst des Sich-Lösens von Bindungen einzuüben, um Leiden zu mindern. Eigentlich war er der Erste, der asiatisches Gedankengut in die abendländische Philosophie einführte.«
Philips Kommentar galt niemandem im Besonderen, und niemand entgegnete etwas darauf. Julius war gereizt, weil er Schopenhauers Namen so häufig hörte, schwieg aber diesmal, weil ihm auffiel, dass mehrere Gruppenmitglieder Philips Bemerkungen mit zustimmendem Nicken aufnahmen.
Nach kurzem Schweigen meinte Stuart: »Sollten wir nicht dorthin zurückkehren, wo wir vor ein paar Minuten waren, als Julius sagte, für ihn wäre es das Beste, wenn wir uns auf unsere Arbeit als Gruppe konzentrieren?«
»Finde ich auch«, sagte Bonnie, »aber wo sollen wir anfangen? Wie wär’s mit einem aktualisierten Bericht über Sie und Ihre Frau, Stuart? Als Letztes haben wir gehört, dass sie Ihnen in einer Email angedroht hat, sich scheiden zu lassen.«
»Das hat sich gelegt, und wir sind wieder beim Status quo. Sie hält Abstand, aber wenigstens ist es zwischen uns nicht schlimmer geworden. Wer steht denn sonst noch an einem entscheidenden Punkt?« Stuart schaute sich im Raum um. »Gill, wie ist es mit Ihnen und Rose – was ist da los? Und Bonnie, Sie sagten vorhin, Sie würden gern etwas ansprechen, aber es käme Ihnen zu trivial vor.«
»Ich möchte heute aussetzen«, sagte Gill und schaute zu Boden. »Ich habe mir beim letzten Mal zu viel Zeit genommen. Aber eigentlich läuft es auf Niederlage und Kapitulation hinaus. Ich schäme mich, wieder zu Hause und in derselben Situation zu sein. Die guten Ratschläge von Philip, von Ihnen allen, waren die reinste Verschwendung. Was ist mit Ihnen, Bonnie?«
»Es erscheint mir heute wie Kleinkram.«
»Denken Sie an meine Version von Boyles Gesetz«, sagte Julius. »Ein kleines Problem kann sich so ausweiten, dass es unseren ganzen Problemraum füllt. Ihr Problem fühlt sich für Sie genauso schrecklich an wie ein Problem bei anderen, das womöglich viel beängstigerende Ursachen hat.« Er schaute
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