Die Schopenhauer-Kur
Universität vorbereiten konnte. Doch sie schrieb noch einmal, falls er sie nicht richtig verstanden haben sollte, und drückte sich dabei noch plastischer aus.
»Da dünckt mirs am besten ich sage Dir gleich ohne Umschweife, was ich wünsche und wie es mir ums Herz ist, damit wir einander gleich verstehen. Daß ich Dich recht lieb habe daran zweifelst Du nicht, ich habe es Dir bewiesen und werde es Dir beweisen, so lange ich lebe. Es ist zu meinem Glücke nothwendig zu wissen, daß Du glücklich bist, aber nicht ein Zeuge davon zu seyn. Ich habe Dir immer gesagt es wäre sehr schwer mit Dir zu leben, . . . ich verhehle es Dir nicht, solange Du bist wie Du bist, würde ich jedes Opfer eher bringen als mich dazu entschließen. Ich verkenne Dein Gutes nicht, auch liegt das, was mich von Dir zurückscheucht nicht in Deinem . . . Innern, aber in Deinem Wesen in Deinem Äußern, Deinen Ansichten, Deine Urtheilen, Deinen Gewohnheiten, kurz ich kann mit Dir in nichts was die Außenwelt angeht übereinstimmen, auch Dein Mismuth ist mir drückend und verstimmt meinen heitern Humor, ohne daß es Dir etwas hilft. Sieh, lieber Arthur, du bist nur auf Tage bey mir zum Besuche gewesen, und jedesmahl gab es heftige Scenen, um nichts und wieder nichts, und jedesmahl atmete ich erst frey wenn Du weg warst . . .« Ref 40
Was in Johanna vorging, scheint offenkundig. Durch die Gnade Gottes war sie einer Ehe entkommen, die sie, wie sie befürchtet
hatte, auf ewig einkerkern würde. Im Taumel der Freiheit genoss sie den Gedanken, nie wieder jemandem verpflichtet zu sein. Sie würde ihr eigenes Leben leben, kennen lernen, wen sie wollte, sich romantischer Verbindungen erfreuen (aber nie wieder heiraten) und ihre eigenen beträchtlichen Talente erkunden.
Die Aussicht, um Arthurs willen auf ihre Freiheit zu verzichten, war unerträglich. Arthur war nicht nur selbst ein schwieriger, herrschsüchtiger Mensch, sondern zudem der Sohn ihres ehemaligen Kerkermeisters, die lebende Verkörperung vieler von Heinrichs unangenehmen Wesenszügen.
Und dann gab es das Thema Geld. Es kam zum ersten Mal zur Sprache, als Arthur im Alter von neunzehn seiner Mutter Verschwendungssucht und damit einhergehend die Gefährdung seines Erbes vorwarf, das er mit einundzwanzig erhalten sollte. Johanna schnaubte, behauptete, es sei bekannt, dass sie bei ihren Gesellschaften nur Butterbrote servierte, und kritisierte dann, dass Arthur mit teuren Diners und Reitstunden weit über seine Verhältnisse lebte. Derartige Streitigkeiten über finanzielle Angelegenheiten sollten sich bald ins Unerträgliche steigern.
Johannas Gefühle für Arthur und die Mutterschaft spiegeln sich in ihren Romanen wider: Die typische Johanna-Schopenhauer-Heldin verliert auf tragische Weise ihre wahre Liebe und findet sich dann mit einer ökonomisch vernünftigen, lieblosen und manchmal gewalttätigen Ehe ab, weigert sich aber aus Trotz und Selbstbewusstsein, Kinder zu gebären.
Arthur teilte seine Empfindungen niemandem mit, und seine Mutter vernichtete später alle seine Briefe. Dennoch, bestimmte Tendenzen scheinen offensichtlich. Das Band zwischen Arthur und seiner Mutter war stark, und der Schmerz über seine Auflösung verfolgte Arthur ein Leben lang. Johanna war eine ungewöhnliche Mutter – temperamentvoll, offen, schön, freigeistig, aufgeklärt, belesen. Mit Sicherheit erörterten sie und Arthur sein Eintauchen in die moderne und klassische
Literatur. Es kann sogar sein, dass der fünfzehnjährige Sohn seine bedeutsame Entscheidung für die Europareise und gegen eine Vorbereitung auf die Universität aus dem Wunsch heraus traf, in ihrer Nähe zu bleiben.
Erst nach dem Tod des Vaters veränderte sich der Ton in der Mutter-Sohn-Beziehung. Arthurs Hoffnung, im Herzen seiner Mutter die Stelle des Vaters einzunehmen, muss sich durch ihren eiligen Entschluss, ihn in Hamburg zu lassen und nach Weimar zu ziehen, aufs Ärgste zerschlagen haben. Falls diese Hoffnung neu auflebte, als seine Mutter ihn seines Versprechens an den toten Vater entband, wurde sie erneut zunichte gemacht, als sie ihn trotz der weitaus besseren Ausbildungsmöglichkeiten in Weimar nach Gotha schickte. Vielleicht handelte sich Arthur, wie seine Mutter andeutete, den Schulverweis in Gotha absichtlich ein. Falls seine Taten auf dem Wunsch beruhten, wieder mit Johanna zusammenzuleben, müssen ihn ihr Widerwille, ihn in ihrem neuen Heim willkommen zu heißen, und die Gegenwart anderer Männer in ihrem Leben entmutigt
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