Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Schopenhauer-Kur

Die Schopenhauer-Kur

Titel: Die Schopenhauer-Kur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irvin D. Yalom
Vom Netzwerk:
sie schön ist. Die zweite war ein Aufsatz mit dem Titel »Die schöne, hohle Frau«, den er als Student gelesen hatte und der hervorhob, dass eine wahrhaft schöne Frau allein wegen ihres Äußeren so oft gefeiert und belohnt wird, dass sie die Entfaltung anderer Teile ihrer Persönlichkeit vernachlässigt. Ihr Selbstvertrauen und ihre Erfolgsgefühle sind nur oberflächlich, und sobald ihre Schönheit schwindet, wird ihr klar, dass sie wenig zu bieten hat: Sie hat weder die Kunst entwickelt, ein interessanter Mensch zu sein, noch diejenige, sich für andere zu interessieren.
    »Ich beobachte und werde als Kamera bezeichnet«, sagte Stuart, »und wenn ich sage, was ich empfinde, heißt es, ich wolle kontrollieren. Ich fühle mich in einer Zwickmühle.«
    »Ich kapier’s nicht, Rebecca«, sagte Tony. »Was ist schon groß passiert? Warum drehen Sie durch? Stuart wiederholt doch nur, was Sie selbst berichtet haben. Wie oft haben Sie gesagt, dass Sie gut flirten können, dass Ihnen das leicht fällt? Ich erinnere mich, wie Sie erzählten, dass es für Sie am College einfach war und jetzt auch in Ihrer Kanzlei ist, weil Sie Männer mit Ihrer Sexualität manipulieren.«

    »So wie Sie das sagen, klingt es, als wäre ich eine Hure.« Rebecca drehte sich mit einem plötzlichen Ruck zu Philip um. »Glauben Sie jetzt nicht, dass ich eine Hure bin?«
    Philip, der sich nicht davon ablenken ließ, seinen Lieblingsfleck irgendwo an der Decke anzustarren, erwiderte rasch:« Schopenhauer sagte, dass einer sehr reizvollen Frau, ebenso wie einem hochintelligenten Mann, das Schicksal beschieden sei, ein einsames Leben zu führen. Er wies darauf hin, dass andere blind vor Neid seien und der überlegenen Person grollten. Aus diesem Grund haben solche Menschen niemals enge Freunde desselben Geschlechts.«
    »Das trifft nicht unbedingt zu«, meinte Bonnie. »Ich denke an Pam, unser fehlendes Gruppenmitglied, die auch schön ist und trotzdem eine große Anzahl guter Freundinnen hat.«
    »Ja, Philip«, warf Tony ein, »wollen Sie behaupten, dass man, um beliebt zu sein, doof oder hässlich sein muss?«
    »Genau«, sagte Philip, »und ein kluger Mensch wird seine oder ihre Zeit nicht damit verbringen, der Beliebtheit bei anderen nachzujagen. Sie ist ein Trugbild. Beliebtheit definiert nicht, was wahr oder gut ist; ganz im Gegenteil, sie ist ein Gleichmacher, ein Verdummer. Es ist viel besser, in sich selbst nach Werten und Zielen zu suchen.«
    »Und was ist mit Ihren Zielen und Werten?«, fragte Tony.
    Falls Philip die Verdrießlichkeit in Tonys Stimme auffiel, ließ er sich nichts anmerken, sondern erwiderte unbefangen:« Wie Schopenhauer möchte ich so wenig wollen wie möglich und so viel wissen wie möglich.«
    Tony nickte, offenkundig zu verblüfft, um zu antworten.
    Rebecca fiel ein: »Philip, was Sie oder Schopenhauer über Freunde sagen, trifft für mich den Nagel auf den Kopf – die Wahrheit ist, dass ich immer nur wenige enge Freundinnen hatte. Aber was ist mit zwei Menschen mit ähnlichen Interessen und Fähigkeiten? Glauben Sie nicht, dass in dem Fall Freundschaft möglich ist?«
    Ehe Philip antworten konnte, mahnte Julius: »Unsere Zeit
wird knapp. Ich möchte gern wissen, wie Sie alle die letzte Viertelstunde empfunden haben. Wie haben wir uns geschlagen?«
    »Nicht gut. Wir liegen irgendwie daneben«, sagte Gill. »Irgendwas läuft hier schräg.«
    »Ich bin ganz darin aufgegangen«, meinte Rebecca.
    »Nee, wir sind zu sehr auf der Kopfebene«, sagte Tony.
    »Finde ich auch«, stimmte Stuart zu.
    »Also, ich bin nicht auf der Kopfebene«, sagte Bonnie. »Ich bin kurz davor, zu platzen oder loszuschreien oder . . .« Ganz plötzlich stand sie auf, nahm ihre Handtasche und Jacke und stürzte aus dem Zimmer. Einen Moment später sprang Gill auf und rannte ihr nach. In verlegenem Schweigen saß die Gruppe da und lauschte den verklingenden Schritten. Kurz darauf kehrte Gill zurück und berichtete, während er sich setzte: »Alles in Ordnung mit ihr; sie sagt, es tut ihr Leid, aber sie musste einfach raus, um Druck abzulassen. Sie äußert sich nächste Woche dazu.«
    « Was ist bloß los ?«, fragte Rebecca und öffnete ihre Handtasche, um Sonnenbrille und Autoschlüssel herauszuholen. »Ich hasse es, wenn sie das macht. Es ist echt bescheuert.«
    »Irgendeine Ahnung, was los ist?«, fragte Julius.
    »PMS, nehme ich an«, sagte Rebecca.
    Tony sah, wie Philip verwirrt das Gesicht verzog, und sprang ein. »PMS –

Weitere Kostenlose Bücher