Die Schopenhauer-Kur
prämenstruelles Syndrom.« Als Philip nickte, ballte Tony seine Hände zu Fäusten und reckte beide Daumen nach oben. »Hey, hey, diesmal habe ich Ihnen was beigebracht.«
»Wir müssen Schluss machen«, sagte Julius, »aber ich habe so meine Vermutung, was mit Bonnie los ist. Denken Sie an Stuarts Zusammenfassung. Erinnern Sie sich daran, wie Bonnie das Treffen einleitete – indem sie über das pummelige kleine Schulmädchen sprach und ihre Unbeliebtheit und ihre Unfähigkeit, mit anderen Mädchen zu konkurrieren, vor allem mit attraktiven? Na ja, ich frage mich, ob das heute in der
Gruppe nicht eine Neuinszenierung dieser Situation war. Sie eröffnete die Sitzung, und die Gruppe wandte sich in Nullkommanichts von ihr ab und Rebecca zu. Anders gesagt, genau das Thema, das sie ansprechen wollte, wurde hier vielleicht in voller Pracht ausagiert, und wir alle spielten unsere Rolle in dem Stück.«
»Ihn kann nichts mehr ängstigen, nichts mehr bewegen: denn
alle die tausend Fäden des Wollens, welche uns an die Welt
gebunden halten und als Begierde, Furcht, Neid, Zorn uns hin
und her reißen, unter beständigem Schmerz, hat er
abgeschnitten. Er blickt nun ruhig und lächelnd zurück auf
die Gaukelbilder dieser Welt, die (. . .) jetzt so gleichgültig vor
ihm stehn wie die Schachfiguren nach geendigtem Spiel . . .« Ref 45
18
Pam in Indien (2)
Es war wenige Tage später, 3 Uhr morgens. Pam lag wach da und spähte in die Dunkelheit. Dank der Intervention ihrer Studentin Marjorie, die ihr VIP-Privilegien verschafft hatte, bewohnte sie einen winzigen Alkoven mit eigener Toilette gleich neben dem Gemeinschaftsschlafsaal der Frauen. Leider gewährte der Alkoven keinen Schallschutz, und so lauschte Pam dem Atmen von einhundertfünfzig anderen Vipassana-Schülerinnen. Das Zischen der bewegten Luft beförderte sie zurück in das Dachbodenschlafzimmer in ihrem Elternhaus in Baltimore, wo der am Fenster rüttelnde Märzwind sie oft wach gehalten hatte.
Mit allen Härten des Ashram-Lebens nahm Pam es auf – mit dem Gewecktwerden um 4 Uhr, der täglich einzigen bescheidenen vegetarischen Mahlzeit, den endlosen Stunden des Meditierens, dem Schweigen, der spartanischen Unterkunft – nur der Mangel an Schlaf machte ihr zu schaffen. Der Mechanismus des Einschlafens entzog sich ihr völlig. Wie hatte sie das
früher angestellt? Nein, falsche Frage, dachte sie – eine Frage, die das Problem nicht erfasste, denn Einschlafen ist etwas, das nicht willentlich zu bewerkstelligen ist; es muss unabsichtlich geschehen. Plötzlich kam ihr eine alte Erinnerung an Freddie, das Schweinchen. Freddie, Meisterdetektiv in einer Reihe von Kinderbüchern, an die sie seit fünfundzwanzig Jahren nicht mehr gedacht hatte, wurde einmal von einem Tausendfüßler um Hilfe gebeten, der nicht mehr laufen konnte, weil seine Beine nicht parallel zueinander standen. Freddie löste das Problem schließlich, indem er den Tausendfüßler anwies, einfach loszumarschieren, ohne auf seine Beine zu schauen – oder auch nur an sie zu denken. Die Lösung lag darin, das Bewusstsein auszuschalten und allein der Weisheit des Körpers zu folgen. Mit dem Einschlafen war es dasselbe.
Pam versuchte es damit, dass sie die Techniken anwandte, die sie im Workshop gelernt hatte, um ihren Geist von allen Gedanken zu befreien. Goenka, ein rundlicher, bronzehäutiger, pedantischer, überaus ernsthafter und überaus wichtigtuerischer Guru, hatte eingangs gesagt, er werde Vipassana unterrichten, müsse dem Schüler aber zunächst beibringen, wie er seinen Geist zur Ruhe bringe. (Pam nahm die ausschließliche Verwendung der männlichen Person hin; die Wellen des Feminismus waren noch nicht an die Küsten Indiens geplätschert.)
In den ersten drei Tagen instruierte Goenka sie im anapanasati – dem bewussten Atmen. Und die Tage waren lang. Außer einem Vortrag und einem kurzen Frage-und-Antwort-Zwischenspiel war die einzige Aktivität von vier Uhr morgens bis halb zehn Uhr abends die tägliche Meditation im Sitzen. Um eine vollständige Bewusstheit beim Atmen zu erreichen, mahnte Goenka seine Schüler, Einatmung und Ausatmung zu studieren.
»Lauscht. Lauscht auf den Klang eures Atems«, sagte er. »Macht euch seine Dauer und seine Temperatur bewusst. Achtet auf den Unterschied zwischen der Kühle des Einatmens und der Wärme des Ausatmens. Werdet zu einem Wächter, der
das Tor im Auge hat. Lenkt eure Aufmerksamkeit auf eure Nasenlöcher, auf die genaue anatomische Stelle, an
Weitere Kostenlose Bücher