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Die Schopenhauer-Kur

Die Schopenhauer-Kur

Titel: Die Schopenhauer-Kur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irvin D. Yalom
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vielleicht auch nicht. Vielleicht war das kein fairer Vergleich. Immerhin hatte Julius insgesamt nur acht Gruppensitzungen  – zwölf Stunden – investiert, während beim Vipassana Hunderte von Stunden nötig waren – zehn volle Tage sowie die Zeit und Mühe, um die halbe Welt zu reisen. Was wäre geschehen, wenn Julius und die Gruppe sich so lange mit ihr beschäftigt hätten?
    Pams wachsender Zynismus beeinträchtigte ihre Meditationen. Das Schmelzen blieb aus. Wo war sie geblieben – jene köstliche, klangvoll summende Zufriedenheit? Ihre Meditationspraxis entwickelte sich Tag für Tag rückläufiger. Mit dem
Vipassana kam sie nicht weiter als bis zu ihrer Kopfhaut. Das winzige Jucken, vorher nur flüchtig, wurde beharrlich und immer stärker – zu Nadelstichen und dann zu einem beständigen Brennen, das sich nicht wegmeditieren ließ.
    Sogar das anapana-sati funktionierte nicht mehr. Die Mauer der Ruhe, die die Atemmeditation errichtet hatte, bröckelte, und die Brandung ungebärdiger Gedanken an ihren Mann, an John, an Rache und Flugzeugabstürze, krachte erneut auf sie ein. Nun, sollte sie. Sie sah Earl jetzt so, wie er war – ein alterndes Kind, die dicken Lippen geschürzt und nach jeder Brustwarze schnappend, die in Reichweite war. Und John – der arme, schwache, unbeherzte John, immer noch nicht gewillt zu begreifen, dass es kein Ja ohne Nein geben kann. Und auch Vijay, der sich dafür entschieden hatte, das Leben, alles Neue, Abenteuer, Freundschaft auf dem Altar des großen Gottes Gleichmut zu opfern. Verwende die richtige Bezeichnung für sie alle, dachte Pam. Feiglinge. Moralische Feiglinge. Keiner von ihnen verdiente sie. Spül sie einfach weg. Das war doch mal ein starkes Bild: John, Earl, Vijay in einer riesigen Toilettenschüssel, die Hände flehend erhoben, ihre Hilfeschreie kaum hörbar, weil das Wasser so laut rauschend auf sie eindonnerte! Das war ein Bild, das die Meditation wert war.

»(Die Feldblume) aber antwortete: ›Du Tor! Meinst du, ich
blühe, um gesehn zu werden? Meiner und nicht der andern
wegen blühe ich, blühe, weil’s mir gefällt: darin, daß ich
blühe und bin, besteht meine Freude und meine Lust.‹« Ref 46
19
    Bonnie eröffnete das nächste Treffen mit einer Entschuldigung. »Ich bitte Sie alle um Verzeihung wegen meines Abgangs letzte Woche. Ich hätte das nicht tun sollen, aber . . . ich weiß nicht . . . ich hatte es nicht unter Kontrolle.«
    »Der Teufel hat Sie geritten.« Tony feixte.
    »Zu komisch. Sehr komisch, Tony. Okay, ich weiß, was Sie wollen. Ich habe mich dafür entschieden, weil ich sauer war. Besser so?«
    Tony lächelte und reckte den Daumen hoch.
    Mit der sanften Stimme, die er immer an sich hatte, wenn er eine der Frauen in der Gruppe ansprach, sagte Gill zu Bonnie: »Nachdem Sie weg waren, deutete Julius an, dass Sie womöglich sauer waren, weil Sie sich von uns ignoriert fühlten – weil die Gruppe im Grunde das wiederholte, was Ihnen in Ihrer Kindheit ständig widerfahren ist.«
    »Stimmt im Großen und Ganzen. Nur dass ich nicht sauer war. Verletzt wäre der bessere Ausdruck.«
    »Ich erkenne, wann jemand sauer ist«, sagte Rebecca, »und Sie waren richtig sauer auf mich.«
    Bonnies Miene umwölkte sich, als sie sich Rebecca zuwandte. »Letzte Woche meinten Sie, Philip habe geklärt, warum Sie keine Freundinnen haben. Aber das akzeptiere ich nicht. Neid
auf Ihr gutes Aussehen ist nicht der Grund dafür, dass Sie keine Freundinnen haben, oder zumindest nicht dafür, dass Sie und ich uns nicht näher kommen; der wahre Grund ist der, dass Sie sich eigentlich gar nicht für Frauen interessieren – oder wenigstens nicht für mich. Jedes Mal, wenn Sie in der Gruppe was zu mir sagen, dient es dazu, das Gespräch wieder auf Sie zu bringen.«
    »Ich gebe Ihnen Feedback darüber, wie Sie mit Ihrer Wut umgehen – oder in den meisten Fällen nicht umgehen –, und dann werde ich beschuldigt, egozentrisch zu sein.« Rebecca schnaubte. »Wollen Sie nun Feedback oder nicht? Ist das nicht der Sinn dieser Gruppe?«
    »Ich möchte, dass Sie mir Feedback über mich geben. Oder über mich und jemand anderen. Es geht aber immer um Sie, Rebecca – oder Sie und mich –, und Sie sind so attraktiv, dass das Pendel dauernd wieder zu Ihnen schwingt und weg von mir. Ich kann nicht mit Ihnen konkurrieren. Aber es ist nicht allein Ihre Schuld; die anderen spielen da mit, und deshalb möchte ich Ihnen allen eine Frage stellen.«
    Bonnie drehte sich

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