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Die Schopenhauer-Kur

Die Schopenhauer-Kur

Titel: Die Schopenhauer-Kur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irvin D. Yalom
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nacheinander kurz zu jedem einzelnen Mitglied um und sah ihn oder sie an, während sie fragte: »Ich wecke eigentlich nie Ihr Interesse – warum nicht?«
    Die Männer im Raum schauten zu Boden. Bonnie wartete nicht auf eine Antwort, sondern fuhr fort: »Und noch etwas, Rebecca: Was ich Ihnen über Freundinnen gesagt habe, ist Ihnen nicht neu. Ich erinnere mich ganz genau daran, dass Pam und Sie eine identische Auseinandersetzung darüber hatten.«
    Bonnie wandte sich Julius zu. »Wo wir gerade von Pam sprechen, wollte ich Sie fragen, ob es etwas Neues von ihr gibt. Wann kommt sie zurück? Ich vermisse sie.«
    »Das war schnell!«, meinte Julius. »Sie sind eine Meisterin im Wirbelwind-Übergang, Bonnie! Aber ich lasse Ihnen das fürs Erste durchgehen und beantworte Ihre Frage nach Pam, weil ich sowieso verkünden wollte, dass sie mir aus Bombay eine E-mail geschickt hat. Sie hat ihren Meditationskurs beendet
und kehrt bald in die Staaten zurück. Zum nächsten Treffen dürfte sie wieder hier sein.«
    Zu Philip gewandt, sagte Julius: »Sie erinnern sich doch, dass ich Pam, unsere fehlende Teilnehmerin, schon einmal erwähnt habe?«
    Philip antwortete mit einem knappen Nicken.
    »Und Sie, Philip, sind ein Meister im schnellen Nicken«, sagte Tony. »Es ist erstaunlich, wie sehr Sie im Mittelpunkt stehen, ohne jemals jemanden anzugucken und ohne sehr viel zu sagen. Sehen Sie nur, was um Sie herum alles vorgeht! Bonnie und Rebecca zanken sich Ihretwegen. Was empfinden Sie dabei? Welche Gefühle löst die Gruppe in Ihnen aus?«
    Als Philip nicht sofort reagierte, schien sich Tony unwohl zu fühlen. Er schaute sich in der Gruppe um. »Scheiße, was ist los ? Ich komme mir vor, als würde ich irgendwelche Gesetze brechen, in der Kirche furzen oder so. Dabei stelle ich ihm nur dieselbe Art von Frage, die jeder hier allen anderen stellt.«
    Philip brach das kurze Schweigen. »Na gut. Ich brauche Zeit, um meine Gedanken zu sammeln. Ich habe mir Folgendes überlegt: Bonnie und Rebecca haben ähnliche Kümmernisse. Bonnie erträgt es nicht, unbeliebt zu sein, während Rebecca es nicht erträgt, nicht mehr beliebt zu sein. Beide sind Gefangene der Launen anderer. Anders gesagt, liegt das Glück für sie beide in den Händen und Köpfen anderer Menschen. Und die Lösung ist für beide dieselbe: Je mehr man in sich selbst hat, desto weniger wird man von anderen brauchen.«
    In dem Schweigen, das darauf folgte, konnte man beinahe die Geräusche des geistigen Kauens hören, mit dem die Gruppe versuchte, Philips Worte zu verdauen.
    »Es sieht nicht so aus, als wollte einer von Ihnen Philip etwas entgegnen«, sagte Julius, »deshalb möchte ich einen Fehler ansprechen, den ich meiner Meinung nach vor ein paar Minuten gemacht habe. Bonnie, ich hätte Ihr Ausweichen auf Pam nicht dulden dürfen. Ich möchte keine Wiederholung von letzter Woche, als wir Ihren Bedürfnissen nicht gerecht wurden. Vor
wenigen Minuten sprachen Sie darüber, dass die Gruppe Sie so oft übersieht, und ich fand es mutig von Ihnen, alle zu fragen, wieso Sie nicht ihr Interesse erregen. Und was passiert? Im nächsten Atemzug schalten Sie um auf Pams Rückkehr in die Gruppe, und Simsalabim: Ihre Frage an uns tritt in den Hintergrund.«
    »Das ist mir auch aufgefallen«, sagte Stuart. »Es ist, als ob Sie es so einrichten, dass wir Sie ignorieren, Bonnie.«
    »Das ist wertvolles Feedback.« Bonnie nickte. »Sehr wertvoll. Wahrscheinlich mache ich das oft. Ich werde darüber nachdenken.«
    »Ihr Dank in allen Ehren, Bonnie«, drängte Julius,«aber ich werde das Gefühl nicht los, dass Sie genau das im Moment wieder tun. Sagen Sie nicht sinngemäß: ›Jetzt haben Sie sich lange genug auf mich konzentriert‹? Ich müsste eine Bonnie-Glocke haben und sie jedes Mal läuten, wenn Sie von sich ablenken.«
    »Also, was soll ich tun?«, fragte Bonnie.
    »Uns den Grund dafür nennen, dass Sie kein Recht dazu haben, ein Feedback von uns zu erwarten«, schlug Julius vor.
    »Dazu fühle ich mich wohl einfach nicht wichtig genug.«
    »Aber es ist okay, wenn andere um Feedback bitten?«
    »Ja, klar.«
    »Das bedeutet, dass andere hier wichtiger sind als Sie?«
    Bonnie nickte.
    »Also, Bonnie, versuchen Sie mal Folgendes«, fuhr Julius fort, »schauen Sie sich jeden einzelnen Teilnehmer an und beantworten Sie diese Frage: Wer in der Gruppe ist wichtiger als Sie? Und warum?« Julius konnte sich selbst schnurren hören. Er segelte in vertrauten Gewässern. Zum ersten Mal seit

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