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Die Schopenhauer-Kur

Die Schopenhauer-Kur

Titel: Die Schopenhauer-Kur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irvin D. Yalom
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auf die Wäscheleine hinter dem Schlafsaal zu hängen und in stündlichen Intervallen ihren Trocknungsprozess zu überprüfen. Welche BHs und welche Schlüpfer trockneten am besten? Wie viele Stunden nächtlichen Trocknens entsprachen einer Stunde am Tage? Wie verlief das Trocknen im Schatten im Vergleich zu dem in der Sonne? Oder das ausgewrungener Sachen gegenüber nicht ausgewrungenen?
    Am vierten Tag kam es zu dem großen Ereignis: Goenka begann, Vipassana zu unterrichten. Die Technik war einfach. Die Schüler wurden angewiesen, über ihre Kopfhaut zu meditieren, bis sich eine Empfindung einstellte – ein Jucken, ein Prickeln, ein Brennen, vielleicht das Gefühl einer leichten Brise. Sobald die Empfindung identifiziert war, sollte der Schüler sie nur wahrnehmen, nichts weiter. Sich auf das Jucken konzentrieren. Wie ist es? Wohin zieht es? Wie lange dauert es? Wenn es verschwand (was es immer tat), sollte der Meditierende sich dem nächsten Körperteil zuwenden, dem Gesicht, und dort nach dem nächsten Reiz Ausschau halten, einem Kribbeln in der Nase etwa oder einem Zucken des Augenlids. Wenn diese Reize sich herausgebildet hatten, dann verebbt und verschwunden waren, fuhr der Schüler mit Hals und Schultern fort, bis jeder Körperteil bis hinunter zu den Fußsohlen wahrgenommen wurde, und ging dann in Gegenrichtung vor, den Körper hinauf bis zur Kopfhaut.
    Goenkas allabendliche Vorträge lieferten die Theorie für diese Technik. Der Schlüsselbegriff war anitya – Unbeständigkeit. Wenn man die Unbeständigkeit aller physischen Reize voll und ganz akzeptierte, war es nur ein kurzer Schritt bis zur Übertragung des Prinzips der anitya auf alle Ereignisse und Widrigkeiten des Lebens – alles ist vergänglich, und man gelangt zum Gleichmut, wenn man es schafft, den Standpunkt des Beobachters beizubehalten und das vorüberziehende Schauspiel einfach zu betrachten.

    Nach ein paar Tagen Vipassana fiel Pam das Prozedere schon leichter, da sie sich mit immer größerer Geschicklichkeit und Schnelligkeit auf ihre körperlichen Empfindungen konzentrieren konnte. Am siebten Tag stellte sich zu ihrem Erstaunen ein regelrechter Automatismus ein, und sie begann zu »schmelzen«, genau, wie es Goenka vorausgesagt hatte. Es war, als ob ihr jemand ein Glas Honig über den Kopf gösse, der sich langsam und köstlich bis zu ihren Fußsohlen ausbreitete. Sie verspürte ein Kribbeln, einen fast sexuellen Kitzel, wie das Geschwirr von Hummeln, das sie einhüllte, während der Honig herunterfloss. Die Stunden flogen dahin. Bald verzichtete sie auf den Stuhl und saß mit den dreihundert anderen Schülern zusammen Goenka zu Füßen in der Lotusposition.
    Die nächsten beiden Tage des Schmelzens verliefen ebenso, und sie verstrichen rasch. In der neunten Nacht lag sie wach – sie schlief genauso schlecht wie zuvor, machte sich aber weniger Gedanken, nachdem sie von einer der Assistentinnen (Manil hatte sie aufgegeben), einer Burmesin, erfahren hatte, dass Schlaflosigkeit in einem Vipassana-Workshop sehr häufig vorkam; anscheinend machten die langen meditativen Zustände weniger Schlaf nötig. Die Assistentin klärte auch das Rätsel der Polizeitrillerpfeifen auf. In Südindien betätigten Wärter sie nachts routinemäßig, während sie das von ihnen bewachte Territorium umkreisten. Es war eine Präventivmaßnahme zur Abschreckung von Dieben, ähnlich wie das kleine rote Licht auf dem Armaturenbrett Diebe vor einer aktivierten Alarmanlage des Autos warnt.
    Oft ist die Gegenwart obsessiver Gedanken am offensichtlichsten, wenn sie nicht mehr auftauchen, und Pam registrierte irgendwann fast erschrocken, dass sie zwei ganze Tage lang nicht mehr an John gedacht hatte. John hatte sich verflüchtigt. An Stelle des endlos abgespulten Bandes ihrer Fantasien war das honigsüße Summen des Schmelzens getreten. Wie seltsam, sich klarzumachen, dass sie jetzt ihren eigenen Freudenspender mit sich trug, der sich darauf abrichten ließ, Wohlfühl-Endorphine
auszuschütten! Jetzt verstand sie, warum Menschen süchtig danach wurden, warum sie sich längere Zeit in einen Ashram zurückzogen, manchmal Monate, sogar Jahre.
    Doch warum war sie nicht in Hochstimmung, obwohl sie jetzt ihren Geist gereinigt hatte? Im Gegenteil, ein Schatten fiel auf ihren Erfolg. Irgendetwas an ihrer Freude am Schmelzen verdüsterte ihre Gedanken. Während sie über dieses Rätsel nachsann, sank sie in einen leichten Dämmerschlaf und wurde kurz darauf von einem

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