Die Schopenhauer-Kur
kicherte die ganze Zeit, weil er diese Vorstellung so komisch fand, dass er nicht aufhören konnte zu lachen.«
»Das kaufe ich Ihnen nicht ab«, sagte Tony. »Ich glaube, Sie benutzen Ihren Doktortitel, um dem Leben aus dem Weg zu gehen.«
»Was ich in dem Hotel getan habe, war falsch. Niemand wird mich je vom Gegenteil überzeugen.«
Julius sagte »Vierzehn Jahre ist das her, und Sie können es nicht vergessen. Was für Auswirkungen hatte dieser Vorfall?«
»Sie meinen außer Selbsthass und Ekel?«, fragte Stuart.
Julius nickte.
»Ich kann Ihnen sagen, dass ich ein verdammt guter Arzt geworden bin, dass ich niemals wieder, auch nicht für einen Augenblick, gegen die Ethik meines Berufsstandes verstoßen habe.«
»Stuart, ich erkläre hiermit, dass Sie Ihre Schuld gebüßt haben«, sagte Julius. »Akte geschlossen.«
»Amen«, erklang es im Chor.
Stuart lächelte und bekreuzigte sich. »Das erinnert mich an die Sonntagsmesse in meiner Kindheit. Ich fühle mich, als wäre mir gerade im Beichtstuhl die Absolution erteilt worden.«
»Lassen Sie mich eine Geschichte erzählen«, sagte Julius. »Vor Jahren war ich in Shanghai in einer verlassenen Kathedrale. Ich bin Atheist, besuche aber gern religiöse Stätten – machen Sie sich selbst einen Reim drauf. Ich spazierte also darin herum und setzte mich dann in den Beichtstuhl, auf die Seite des Priesters, und stellte fest, dass ich den Beichtvater beneidete. Welche Macht er hatte! Ich versuchte, die Worte zu artikulieren: ›Dir ist vergeben, mein Sohn, meine Tochter.‹ Ich stellte mir das unangefochtene Selbstvertrauen vor, das er hatte, weil er sich als Gefäß sah, das die Fracht der Vergebung direkt von dem da oben brachte. Und wie kläglich mir meine eigenen Techniken im Vergleich dazu erschienen! Aber später, nachdem ich die Kirche verlassen hatte, beruhigte ich mich damit, dass ich wenigstens nach meinen Vernunftprinzipien lebte und meine Patienten nicht infantilisierte, indem ich ihnen Mythologie als Realität präsentierte.«
Nach kurzem Schweigen sagte Pam: »Wissen Sie was, Julius? Irgendwas hat sich verändert. Sie sind anders als vor meiner Reise. Erzählen Geschichten aus Ihrem Leben, äußern Meinungen zu religiösen Fragen, was Sie früher stets vermieden haben. Ich vermute, es hat mit Ihrer Krankheit zu tun, aber trotzdem, es gefällt mir. Es gefällt mir sehr, dass Sie persönlicher sind.«
Julius nickte. »Danke. Das Schweigen gab mir schon das beklemmende Gefühl, ich hätte irgendwelche religiösen Empfindlichkeiten verletzt.«
»Meine nicht, Julius, falls Sie sich um mich Sorgen machen«, sagte Stuart. »Ich bin immer verblüfft über diese Umfragen,
die besagen, neunzig Prozent aller Amerikaner glaubten an Gott. Ich bin aus der Kirche ausgetreten, als ich noch keine zwanzig war, und wenn ich es damals nicht getan hätte, dann heute, bei all dem, was über Geistliche und Pädophilie herausgekommen ist.«
»Meine auch nicht«, sagte Philip. »Sie und Schopenhauer haben etwas gemeinsam, was Religion betrifft. Er war der Meinung, dass die Kirchenführer das unauslöschliche Bedürfnis des Menschen nach dem Metaphysischen ausbeuten, dass sie die Öffentlichkeit infantilisieren und selbst in einem andauernden Zustand der Täuschung leben, weil sie sich weigern einzugestehen, dass sie ihre Wahrheiten bewusst mit Allegorien bemänteln.«
Philips Kommentar interessierte Julius, aber da er bemerkte, dass nur noch wenige Minuten blieben, steuerte er die Gruppe wieder auf Kurs. »Viel passiert heute. Es wurden eine Menge Risiken eingegangen. Empfindungen? Einige von Ihnen waren sehr still – Pam? Philip?«
»Mir ist nicht entgangen«, sagte Philip rasch, »dass das, was heute hier enthüllt wurde, was so viel unnötige Qual verursacht, mir, anderen, von der allgegenwärtigen, universellen Macht des Geschlechtstriebs herrührt, der uns, wie mich Schopenhauer, mein anderer Therapeut, lehrte, absolut angeboren oder, wie wir heute sagen würden, einprogrammiert ist.
Ich kenne viele von Schopenhauers Worten darüber, da ich sie in Vorlesungen oft angeführt habe. Lassen Sie mich ein paar zitieren: ›Der Geschlechtstrieb ist die vollkommene Äußerung des Willens zum Leben, mithin Konzentration allen Wollens.‹«
»Philip, das ist alles sehr wichtig, aber versuchen Sie, ehe wir für heute Schluss machen, über Ihre Empfindungen zu sprechen statt über die Schopenhauers«, unterbrach ihn Julius.
»Ich versuche es, aber lassen Sie mich
Weitere Kostenlose Bücher