Die Schopenhauer-Kur
Auszeit.«
»Und Sie, Philip?«
Philip nickte.
»Für mich ist das mehr als in Ordnung«, sagte Julius, »es sei denn, Sie wollen uns zuerst verraten, warum Sie sich gerade heute dazu entschlossen haben.«
»Nein, es ist besser, wenn ich mich gleich hineinstürze, solange ich den Mut habe. Also: Vor ungefähr fünfzehn Jahren, etwa zwei Wochen vor meiner Hochzeit, schickte mich meine Firma auf die Computermesse nach Las Vegas, um dort ihr neues Produkt zu präsentieren. Ich hatte bereits meine Kündigung eingereicht, und diese Präsentation sollte mein letzter Auftrag sein – damals dachte ich, es wäre vielleicht der letzte in meinem ganzen Leben. Ich war im dritten Monat schwanger, Jack und ich hatten vierwöchige Flitterwochen geplant, und dann sollte ich mich um den Haushalt und das Baby kümmern. Das war lange vor dem Jurastudium – ich hatte keine Ahnung, ob ich je wieder arbeiten würde.
In Vegas verfiel ich irgendwie in eine seltsame Stimmung. Eines Abends fand ich mich zu meiner eigenen Überraschung in der Bar von Caesar’s Palace wieder. Ich bestellte einen Drink und war schon bald in ein vertrauliches Gespräch mit einem gut gekleideten Mann vertieft. Er fragte, ob ich beruflich hier sei. Ich nickte. Ehe ich ihm mehr über meinen Job erzählen konnte, wollte er wissen, wie hoch mein Honorar sei. Ich schluckte, musterte ihn – er war süß – und sagte: ›Hundertfünfzig Dollar.‹ Er nickte, und wir gingen rauf in sein Zimmer. Und am nächsten Abend zog ich im Tropicana dasselbe durch. Für denselben Preis. Und in meiner letzten Nacht dort habe ich es umsonst gemacht.«
Rebecca holte tief Luft, atmete laut aus. »Das war’s. Ich habe es nie jemandem erzählt. Manchmal dachte ich, ich sollte es Jack sagen, habe es aber nie getan. Was wäre dabei herausgekommen? Nichts als Kummer für ihn und ein bisschen Absolution für mich . . . Und . . . Tony, Sie Mistkerl . . . verdammt noch mal, das ist nicht witzig!«
Tony, der seine Brieftasche herausgeholt hatte und dabei war, Geld abzuzählen, hielt abrupt inne und sagte mit einem verlegenen Grinsen: »Ich wollte nur, dass Sie es nicht so ernst nehmen.«
»Ich will es aber ernst nehmen. Mich bedrückt das sehr.« Rebecca
ließ das bemerkenswerte Lächeln aufblitzen, das ihr jederzeit zur Verfügung stand. »Das war’s – meine gefährliche Beichte.« Sie wandte sich Stuart zu, der sie mehr als einmal als Porzellanpüppchen bezeichnet hatte. »Also, was finden Sie ? Vielleicht ist Rebecca nicht so eine Zierpuppe, wie es den Anschein hat.«
Stuart erwiderte: »Daran habe ich gar nicht gedacht. Wissen Sie, was mir durch den Kopf schoss, während Sie sprachen? Mir fiel ein Film ein, den ich mir vor ein paar Tagen ausgeliehen habe – The Green Mile. Darin gibt es eine unvergessliche Szene, in der ein zum Tode verurteilter Gefangener seine letzte Mahlzeit isst. Für mich klingt es so, als hätten Sie sich in Las Vegas ein letztes Stückchen Freiheit vor der Ehe gegönnt.«
Julius nickte und sagte: »Da stimme ich zu. Hört sich ganz nach dem an, worüber wir vor langer Zeit geredet haben, Rebecca.« Der Gruppe erläuterte er: »Vor etlichen Jahren war Rebecca bei mir in Therapie, als sie mit der Entscheidung rang, ob sie heiraten sollte.« Wieder zu Rebecca gewandt, sagte er: »Ich erinnere mich, dass wir Wochen lang über Ihre Ängste sprachen, Ihre Freiheit aufzugeben, Ihr Gefühl, Ihre Möglichkeiten einzuengen. Ich glaube wie Stuart, dass all das in Las Vegas ausagiert wurde.«
»Eins ist mir aus unseren gemeinsamen Stunden besonders im Gedächtnis geblieben, Julius. Ich entsinne mich, dass Sie mir von einem Roman erzählten, in dem jemand einen Weisen aufsucht, der ihm erklärt, dass Alternativen sich ausschließen, dass es für jedes Ja ein Nein geben muss.«
»Hey, das Buch kenne ich – John Gardners Grendel«, unterbrach Pam. »Es war Grendel, der Dämon, der den weisen Mann aufsuchte.«
»Da gibt es Querverbindungen«, sagte Julius. »Pam hat mich mit dem Buch bekannt gemacht, als ich sie ungefähr zur selben Zeit für ein paar Monate behandelte. Also, Rebecca, falls dieser Kommentar hilfreich war, schulden Sie Pam Dank dafür.«
Rebecca schenkte Pam ein breites Dankeschön-Lächeln.
»Sie haben mich indirekt therapiert. Ich habe einen Zettel mit diesem Satz an meinen Spiegel geklebt: Alternativen schließen sich aus. Ich habe mein Problem, Ja zu sagen, obwohl ich glaubte, dass er der Richtige war, auch Jack erklärt.« Dann, zu
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