Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Schopenhauer-Kur

Die Schopenhauer-Kur

Titel: Die Schopenhauer-Kur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irvin D. Yalom
Vom Netzwerk:
fortfahren – nur noch einen Satz: ›Tagtäglich zerstört er ... Tatsächlich beraubt er diejenigen . . . allen Gewissens . . . Denn alle Verliebtheit wurzelt
allein im Geschlechtstrieb!‹« Philip hielt inne. »Das war’s, was ich sagen wollte; ich bin fertig.«
    »Wir haben nichts über Ihre Gefühle gehört, Philip«, sagte Tony, feixend über die Gelegenheit, Philip eins auszuwischen.
    Philip nickte. »Ich empfinde bloß Bestürzung darüber, dass wir armen Sterblichen, wir Leidensgenossen, solche Opfer der Biologie sind, dass wir unser Leben lang Schuldgefühle haben wegen eines natürlichen Akts, wie ihn Stuart und Rebecca vollzogen haben. Und dass wir alle das Ziel haben, uns aus der Sklaverei des Sex zu befreien.«
    Nach einigen Momenten des üblichen Schweigens, das auf Philips Äußerungen folgte, wandte sich Stuart Pam zu: »Ich würde heute gern was von Ihnen hören. Wie denken Sie über das, was ich der Gruppe zugemutet habe? Ich habe an Sie gedacht, als ich mir überlegte, hier zu beichten. Ich dachte, ich bringe Sie damit in Schwierigkeiten, weil Sie mir eigentlich nicht verzeihen können, ohne zugleich Philip zu verzeihen.«
    »Ich empfinde so viel Respekt für Sie wie eh und je, Stuart. Und vergessen Sie nicht, dass ich für dieses Thema sensibilisiert bin. Ich wurde selbst von einem Arzt ausgenutzt – Earl, mein Ex-Ehemann, war mein Gynäkologe.«
    »Genau«, sagte Stuart. »Das verschlimmert es noch. Wie können Sie mir vergeben, ohne auch Philip und Earl zu vergeben?«
    »Das stimmt so nicht, Stuart. Sie sind ein anständiger Mensch – nachdem ich Sie heute habe beichten und bereuen hören, empfinde ich das noch stärker. Und dieser Vorfall in dem Hotel in Miami regt mich nicht auf – haben Sie je Angst vorm Fliegen gelesen?«
    Als sie sah, dass Stuart den Kopf schüttelte, fuhr Pam fort: »Schauen Sie mal rein in das Buch. Erica Jong würde das, was Sie erlebt haben, schlicht einen ›Spontanfick › nennen; es war eine auf Gegenseitigkeit beruhende Paarung aus dem Moment heraus; Sie waren nett zu ihr, niemandem wurde wehgetan, Sie haben hinterher dafür gesorgt, dass man sich um sie kümmerte.
Und Sie haben den Vorfall seither als moralischen Kompass benutzt. Aber Philip? Was kann man über einen Mann sagen, der sich Heidegger und Schopenhauer zum Vorbild nimmt? Von allen Philosophen, die je gelebt haben, waren sie die beiden, die als Menschen die erbärmlichsten Versager waren. Was Philip getan hat, war unverzeihlich, räuberisch, kalt –«
    Bonnie unterbrach sie: »Warten Sie mal, Pam, ist Ihnen nicht aufgefallen, dass Philip, als Julius versuchte, ihn zu bremsen, unbedingt auf einem weiteren Satz bestand, in dem es darum ging, dass der Geschlechtstrieb den Menschen seines Gewissens beraubt und Beziehungen zerstört? Hat das nicht was mit Reue zu tun? Und war es nicht an Sie gerichtet?«
    »Er hat etwas zu sagen? Dann soll er es mir sagen. Ich will es nicht von Schopenhauer hören.«
    »Da würde ich mich gern einmischen«, sagte Rebecca.« Nach dem letzten Treffen habe ich mich unwohl gefühlt, Ihretwegen, unseretwegen, auch Philips wegen, der, seien wir ehrlich, hier ziemlich angepisst wurde. Zu Hause fiel mir dann Jesus’ Bemerkung darüber ein, dass derjenige, der ohne Sünde ist, den ersten Stein werfen solle – das hat viel mit dem zu tun, was ich heute von mir erzählt habe.«
    »Wir müssen aufhören«, sagte Julius, »aber Philip, das ist genau das, auf das ich aus war, als ich Sie nach Ihren Empfindungen fragte.«
    Philip schüttelte verwirrt den Kopf.
    »Ist Ihnen klar, dass sowohl Rebecca als auch Stuart Ihnen heute ein Geschenk gemacht haben?«
    Philip schüttelte weiterhin den Kopf. »Das verstehe ich nicht.«
    »Das ist Ihre Hausaufgabe, Philip. Ich möchte, dass Sie über die Geschenke meditieren, die Sie heute erhalten haben.«

»Wenn man nicht ein Spiel in der Hand jedes Buben und der Spott
jedes Narren sein will, so ist die erste Regel: Zugeknöpft!« Ref 77
24
    Stundenlang wanderte Philip nach dem Treffen umher, vorbei am Palace of Fine Arts, jenem nun verfallenden Kolonnadenbau, der 1915 für die Panama-Pacific-Ausstellung errichtet worden war, umrundete zweimal den angrenzenden See und schlenderte dann am Jachthafen und Crissy-Field, dem ehemaligen Militärflughafen, an der San Francisco Bay entlang, bis er den Fuß der Golden Gate Bridge erreichte. Was für Instruktionen hatte ihm Julius gegeben? Er erinnerte sich an die Anweisung, über Stuarts und

Weitere Kostenlose Bücher