Die schottische Braut
erreichen.”
“Das ist schön, Kapitän”, bemerkte Jenny. Heute Morgen wäre sie entzückt von der Neuigkeit gewesen, sich Miramichi zu nähern. Im Augenblick konnte sie an nichts anderes denken als an Harris. Er war bei dem Versuch verletzt worden, sie zu schützen, und er würde noch mehr Schmerzen erdulden müssen.
“Können wir das zu einem Ende bringen?”, fragte sie.
“Wir sollten es tun, solange wir noch etwas Licht haben”, stimmte der Kapitän zu. “Matie, halte seinen verletzten Arm fest. Maat, nimm den anderen, und Blair, seine Beine. Thomas, du hältst den Kopf.”
“Ich werde seinen Kopf halten”, erklärte Jenny in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete.
“Wie Sie wollen, Mädchen.” Der Kapitän zuckte die Schultern. “Doch er könnte um sich schlagen, wenn ich das Pech auflege.”
“Ich bin stark. Ich kann ihn halten.”
Der Kapitän nahm den Behelfsverband von Harris’ Arm. Mit einer flachen Holzkelle holte er das schwarze, klebrige Pech aus dem Topf. Qualm stieg auf. Jenny brachte es nicht über sich, hinzusehen. Sie wandte den Kopf ab und schloss fest die Augen.
Harris erlangte das Bewusstsein mit einem lauten Schmerzensschrei wieder. Sein Kopf fuhr hoch und traf Jenny in die Brust, dass es ihr den Atem raubte.
“Was zum …?” Ein Schwall von Flüchen kam über seine Lippen. Was war geschehen, wo war er, und warum wollte man ihn foltern? Unter dem beißenden Geruch des Pechs roch Jenny das verschmorte Fleisch von Harris. Ihr Magen krampfte sich zusammen.
“Beruhigen Sie sich.” Jenny beugte sich tief über ihn und berührte seine Wange in der Hoffnung, seinen Schmerz etwas zu lindern. “Sie wurden von einer Kugel aus der Muskete eines Piraten niedergestreckt. Sie stürzten und haben sich den Kopf angeschlagen. Lange waren Sie ohne Bewusstsein. Ich war besorgt um Sie. Der Kapitän musste Ihre Wunde mit heißem Pech ausbrennen, damit Sie keinen Wundbrand bekommen.”
Ihre Erklärung stellte ihn zufrieden, denn er hörte auf zu fluchen. Er presste die Lippen zusammen. Schweiß perlte auf seiner Stirn. Da erinnerte sich Jenny an den Rum.
“Trinken Sie einen Schluck”, versuchte sie, ihn zu bewegen. “Es wird den Schmerz lindern.”
Er schluckte, was Jenny ihm einflößte. Der hochprozentige Rum ließ ihn nach Luft schnappen. Zufrieden über seine Arbeit, umwickelte Kapitän Glendenning Harris’ Arm mit einem frischen Streifen aus Leinen. Nachdem Jenny Harris noch mehr von dem Rum zu trinken gegeben hatte, machte der Kapitän den Matrosen das Zeichen, Harris loszulassen. Er nahm all seine Kräfte zusammen, auf die Beine zu kommen. Mit der Hand seines gesunden Armes nahm er Jenny die Rumflasche weg.
Bei dem Versuch, sich vor dem Kapitän zu verbeugen, war er so ungeschickt, dass er sich beinahe wieder auf den Planken hingestreckt hätte. “Ich danke Ihnen für Ihre ärztliche Fürsorge. Wenn Sie mich jetzt entschuldigen wollen, ich möchte mich in meine Kajüte zurückziehen, um mich von den Abenteuern des Tages zu erholen.”
Jenny bemerkte das Zucken um den Mund des Kapitäns. Ein rascher Blick in die Runde der Seeleute verriet ihr, dass diese sich ebenfalls ein Lächeln verkniffen. Mit Vergnügen hätte sie alle würgen können.
“Ich werde Ihnen die Treppe hinunterhelfen, Harris.” Sie warf den Männern einen wütenden Blick zu, die es wagten, mehr aus diesem höflichen Ansinnen zu machen. Dieser Blick hatte schon oft ihre Brüder in die Schranken gewiesen und auch bei der Mannschaft der
St. Bride
tat er dieselbe Wirkung. Einige begannen, untereinander lautstark zu reden, andere wiederum beschäftigten sich plötzlich mit irgendwelchen Arbeiten, um aus Jennys Gesichtskreis zu kommen.
Entweder war es der Schlag auf den Kopf, der ihn umnebelt hatte, oder die Wirkung des Rums, jedenfalls war Harris nicht mehr sicher auf den Beinen, als er sich entfernte. Er legte ihr seinen gesunden Arm zur Unterstützung um die Schultern.
“Ich fühle mich selbst auch ein wenig benommen von der ganzen Aufregung”, sagte sie laut, damit es die Mannschaft und die anderen Passagiere hören konnten. “Nachdem Sie selbst unter Deck gehen, könnten Sie mich vielleicht zu meiner Kabine geleiten, Mr Chisholm.”
“Oh ja”, murmelte Harris. Seine angespannten Gesichtszüge ließen vermuten, dass er sich nur durch seinen Willen aufrecht hielt.
Sie erreichten schwankend seine Kabine, wo Harris sofort auf die Koje sank. Jenny versuchte, den Knoten seiner Halsbinde zu lösen.
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