Die schottische Braut
Seiner tröstlichen Anwesenheit.
“Es tut mir leid, Harris”, flüsterte sie. “Ich wollte Sie nicht ermutigen, das schwöre ich. Und ganz gewiss hatte ich niemals vor, Sie zu verletzen.”
“Quälen Sie sich nicht selbst, Jenny.”
Beinahe wäre sie aufgesprungen, als sie die beruhigenden Worte vernahm, die den Lärm des nun tobenden Unwetters durchbrachen. Sie hatte angenommen, dass er schlief.
“Ich habe ein Herz aus Stein”, fuhr er fort. “Wahrscheinlich habe ich mich nur selbst genarrt mit meinen Gefühlen. Sie sind das erste Mädchen, das mehr als höflich zu mir war. All das Liebesgeflüster in Mr Scotts Büchern und Sie dazu, ein hübsches Mädchen …”
“Das ist aber auch schon alles”, beeilte sich Jenny zu sagen. “Die nächste junge Dame, die mit Ihnen die Zeit verbringt, wird Sie alles über mich vergessen lassen.”
Irgendwie gefiel Jenny dieser Gedanke nicht, obwohl sie nicht enträtseln konnte, warum.
Gerade als Jenny beschlossen hatte, nicht weiter über die Angelegenheit nachzudenken, ging ein heftiges Beben durch das Schiff.
Sie wurde durch die enge Kabine geschleudert und landete bei Harris in der Koje. Er zischte vor Schmerz durch die Zähne, als sie auf ihm landete. Die Lampe zerbarst auf dem Boden, wo sie flackernd erlosch.
“Verdammt!”, rief Harris. “Wir sind auf Grund gelaufen.” Er schob Jenny von sich und tastete auf dem Boden herum. “Wo haben Sie meine Stiefel hingetan?”
Das Holz barst, als die Bark noch eine Bewegung nach vorne machte.
Jenny erhaschte in der Dunkelheit einen von Harris’ Stiefeln.
“Ich habe den anderen”, vernahm sie seinen Ruf, der von weit her zu kommen schien.
Sie spürte, wie er sich verrenkte, um sich die engen Stiefel mit seinem verletzten Arm anzuziehen.
“Wir müssen an Deck”, sagte Harris.
Ehe sie aus der Kajüte hinauskriechen konnten, stieß die
St. Bride
gegen ein Hindernis. Diesmal fiel Harris gegen Jenny. Die Luft wurde ihr aus den Lungen gedrückt, und sie spürte das sanfte Kratzen seiner unrasierten Wange auf ihrer Stirn. Eines seiner Knie kam zwischen ihre Beine. Als sie die Hand hob, streifte sie seine warme Haut. Einen Moment lang wünschte sie sich, sie hätten so viel Zeit, um so in der engen Kabine herumzurollen.
Der Sturm drückte die Bark gegen eine Sandbank. Harris richtete sich mühsam auf und zog Jenny auf die Füße. Sie zuckte zusammen, denn Wasser durchnässte ihre Schuhe. Gut drei Zoll mussten bereits durch den Schiffsboden eingedrungen sein, und es stieg rasch.
“Hier hinaus.” Harris packte sie an der Hand und legte sie an seinen Hosenbund. “Lassen Sie nicht los. Haben Sie verstanden? Gleichgültig was passiert.”
Sie wankten zur Kajütentür. Das hoffte Jenny zumindest. In der Dunkelheit war nichts zu erkennen. Jenny kämpfte gegen die steigende Angst an, unter Deck gefangen zu sein. Wenigstens hatte sie diesmal Harris bei sich.
Als er die Kajütentür aufriss, stürzte ihm jemand vom Niedergang entgegen.
“Geben Sie acht, was Sie tun!” schrie eine Stimme. Jenny erkannte den barschen, griesgrämigen Bass von Mr Tweedie, dem Flickschuster aus Wigtown. Er raffte sich auf und erkämpfte sich erneut den Weg den Gang entlang. Harris folgte ihm und zog Jenny mit sich.
Der schmale Niedergang war erfüllt von verzweifelten Schreien und Rufen. Menschenleiber drückten angstvoll nach, um dem eindringenden Meerwasser, welches das Unterdeck überflutete, zu entkommen. Jenny umklammerte Harris, als dieser vorwärts stürmte. Sie stolperten die steile Treppe hoch und gelangten an Deck.
Nach der dumpfen Luft im engen Niedergang atmete Jenny tief die salzige Seeluft ein. Sie war froh, wieder im Freien zu sein.
“Wir müssen zu einem der Rettungsboote!”, rief Harris.
Seine Worte durchdrangen kaum den heulenden Sturm und das verzweifelte Stimmengewirr rundherum.
Nach einigen zögernden Schritten spürte Jenny den festen Halt der Schiffsreling. Sich mit der rechten Hand an Harris klammernd, tastete sie sich mit der linken die Reling entlang.
“Sie sind direkt vor uns!”, rief Harris ihr zu, als ein mächtiger Brecher die Bark traf und beide mit Meerwasser überspülte.
Hustend versuchte Jenny, Luft zu holen, dabei verlor sie jedoch das Gleichgewicht.
Eine andere Woge folgte und drückte die
St. Bride
noch tiefer gegen die Sandbank. Jennys Füße fanden auf den nassen Planken des Decks keinen Halt mehr. Sie spürte, wie sie gegen die Reling geschleudert wurde.
Im letzten Augenblick
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