Die schottische Braut
Flinte, Seil, einen Wasserschlauch und etwas zu essen. Was hatte Jenny wohl zu diesem Schritt veranlasst?
Waren es die Dinge, die er letzte Nacht zu ihr gesagt hatte? Hatte sein Geständnis Jenny veranlasst fortzugehen? Er konnte sich keinen anderen Grund denken, obwohl eine innere Stimme sich dagegen wehrte, denn sie schien vor ihren eigenen Gefühlen mehr Angst zu haben als vor seinen. In jedem Fall hatte sie ihre Wahl getroffen. Roderick Douglas sollte ihr Gemahl werden. Sie war so fest entschlossen, zu ihm zu gelangen, dass sie bereit war, die anstrengende Reise auf einem vierzig Meilen langen Pfad durch die Wildnis auf sich zu nehmen, um schneller zu ihm zu gelangen.
Harris hatte einst geschworen, sich niemals eines Frauenzimmers wegen zum Narren zu machen, doch mit Jenny war das anders. Immer wieder hatte sie ihn zurückgewiesen, und trotzdem begehrte er sie mehr denn je. Machte ihn das in ihren Augen zum Narren? Wahrscheinlich. Würde er noch zu einem größeren Narren werden, wenn er ihr nach Chatham folgte? Zweifellos.
Doch das war ihm gleichgültig.
Er würde niemals damit leben können, sollte ihr etwas zustoßen. Außerdem hatte er sein Wort gegeben, sie sicher bis Chatham zu geleiten. Und er wollte sein Versprechen halten.
Selbst wenn ihm dabei das Herz brach.
Verschwitzt und mit wunden Füßen fragte sich Jenny, ob es bloß Einbildung war oder ob der Pfad mit jeder Meile immer enger und verwachsener wurde. Von der Hafergrütze, die sie mit den Kindern zum Frühstück gegessen hatte, war nichts mehr zu spüren, und ihr Magen fühlte sich leer an. Vielleicht hätte sie bei dem kleinen Laden in Richibucto anhalten und etwas zu essen einkaufen sollen. Sie wollte jedoch nicht Gefahr laufen, mit Harris zusammenzutreffen.
Erleichterung erfasste sie, als sie nach einer Wegbiegung auf eine Waldlichtung kam.
Eine Hütte, noch kleiner als die der Glendennings, stand in der Mitte einer teilweise gerodeten Fläche. Fischernetze hingen hinter dem Haus und warteten darauf, ausgebessert zu werden. Am Ufer eines kleinen Flusses lag ein umgekehrtes Kanu. Zwei barfüßige Kinder spielten fröhlich zwischen den Baumstümpfen. Vor der Hüttentür pickte ein halbes Dutzend Hühner nach Körnern. Durch das Loch im Dach stieg eine dünne Rauchsäule empor.
Jenny lief das Wasser im Mund zusammen, als ihr der würzige Duft von gebratenem Fleisch in die Nase stieg.
Sie winkte den Kindern zu, die daraufhin kreischend zur offenen Hüttentür liefen. “Mummy! Mummy!”
Als Jenny bei dem kleinen Haus ankam, trat ein Mädchen, kaum älter als sie selbst, durch die Tür. Sie trug ein Baby auf dem Arm. Ein weiteres sollte bald das Licht der Welt erblicken, wenn Jenny den gewölbten Bauch der jungen Frau unter der Schürze richtig deutete. Die Kinder, die zuvor auf der Lichtung gespielt hatten, lugten nun hinter den Röcken der Mutter hervor. Angst und Neugier funkelte in ihren runden dunklen Augen.
Auch die Frau musterte Jenny wachsam. “
Qu’est-ce que vous?”
, fragte sie. “
Qu’est-ce que vous désirez?”
Jenny zuckte die Schultern. “Was sagen Sie? Ist das Französisch?”
“
Ou est vous arrivée?”
erkundigte sich die Frau.
“Ich heiße Jenny Lennox.” Jenny zeigte auf sich selbst. “Wenn es das ist, was Sie wissen wollen. Ich bin auf dem Weg nach Miramichi …”
“Miramichi?” wiederholte die Frau. “
Avez-vous venu de Miramichi?”
Jenny lächelte. “Ja.” Sie nickte. “Ich bin auf dem Weg dahin, um mich zu vermählen.” Sie zeigte dabei auf den vierten Finger ihrer linken Hand.
“
Ah, mari!”
Die Frau nickte.
“Sie verstehen!”, rief Jenny aus. “Heiraten in Miramichi.” Sie deutete in unterschiedliche Richtungen. “Welcher Weg ist es? Wie komme ich dahin – nach Miramichi?”
“
Miramichi, c’est ça.”
Die Frau zeigte zu den Wäldern auf der anderen Seite des Flusses. Jenny konnte einen schmalen Pfad zwischen den Büschen ausmachen. War das der Weg?
“Ich danke Ihnen.” Jenny nickte und ging einige Schritte, als sich erneut ihr Magen knurrend meldete.
Sie wandte sich um. “Ich habe seit heute früh nichts gegessen.” Jenny rieb sich dabei den Bauch und hoffte, die Frau würde verstehen, dass sie Hunger hatte, und nicht denken, dass sie ein Kind erwartete. “Könnten Sie mir etwas von Ihrer Mahlzeit abgeben, die Sie gerade kochen?” Sie sog dabei betont begierig den Duft ein. “Es riecht köstlich.”
“
Restez ici.”
Die Frau bedeutete ihr, stehen zu
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