Die schottische Braut
ihrer Stimme vernahm, stieß Jenny laut den übelsten Fluch aus, der jemals über ihre Lippen gekommen war. Warum auch nicht? Meilenweit war keine Menschenseele, die entsetzt über ihre Ruchlosigkeit sein konnte. Ihr Vater hätte sie gewiss getadelt, doch der war Tausende von Meilen entfernt. Selbst der gestrenge Gott des Alten Testamentes schien von diesem Ort weit entfernt zu sein.
Jenny wehrte sich gegen die Erschöpfung und versuchte zu entscheiden, ob es besser war, weiterzugehen oder da zu bleiben, wo sie sich befand. Plötzlich hörte sie ein Geräusch.
Die Laute riefen Panik in ihr hervor. Verzweifelt suchte sie nach einem sicheren Ort, wo sie sich verbergen konnte. Trockenes Geäst und Piniennadeln raschelten unter den schweren Tritten eines herannahenden großen Tieres. Ein Wolf? Ein Bär? Als es näher kam, konnte Jenny auch ein Schnauben hören.
Mit einem entsetzten Aufschrei sprang sie hinter den dicken Stamm einer uralten Pinie. Dann wandte sie sich um und lief blindlings in die Nacht hinein. Sie stieß gegen einen Baum und stürzte zu Boden. Eine innere Stimme riet ihr, dass es klüger sei, sich irgendwo zusammenzukauern und still zu verhalten in der Hoffnung, dass das Tier sie in der Dunkelheit nicht bemerkte.
Doch die Angst gewann die Oberhand über nüchterne Überlegungen. Hastig stand Jenny auf und lief weiter, angespornt durch die herannahenden Laute. Raubtieren sagte man nach, dass sie nachts gut sehen können, ganz zu schweigen von ihrem Gehörsinn und der Möglichkeit, ihr Wild zu wittern.
Hinter sich vernahm sie, näher als zuvor, ein Schlagen. Sie lief noch schneller.
Dann fühlte Jenny, dass der Erdboden unter ihrem rechten Fuß nachgab. Sie taumelte vorwärts und landete in einem Bett aus Moos. Das Herz hämmerte in der Brust, und als sie wimmernd die ersten schmerzlichen Versuche machte, Luft zu holen, holte sie ihr Jäger ein.
Sie spürte das schwere Gewicht, das ihr erneut die Luft aus den Lungen presste. Sein heißer Atem streifte ihren Nacken. Jeden Augenblick würde er ihr die Kehle durchbeißen.
Und sie würde sterben.
10. KAPITEL
Harris verlor das Gleichgewicht und fiel auf Jenny, die sich heftig wehrte. Schwer atmend sog er die Nachtluft ein. Jeder Atemzug tat ihm weh. Diese verrückte, blinde Verfolgungsjagd durch den Wald hatte ihn schwer mitgenommen. Er spürte, wie seine angeschlagenen Glieder und Muskeln ihn schmerzten.
Doch er hatte Jenny gefunden, und das allein zählte.
Sobald er wieder zu Kräften gekommen war, rollte er keuchend zur Seite. “Keine Angst. Ich bin es nur, Jenny.”
“H…Harris?” Sie brachte seinen Namen unter Schluchzen hervor.
Vorsichtig tastete er im Dunkeln nach ihr und zog sie an sich. “Aber, aber. Alles ist wieder gut, Jenny. Bei mir bist du sicher.”
Er hatte die Worte kaum ausgesprochen, als sie ihre Lippen auf seine presste, hemmungslos und voller Hingabe. Harris kam nicht dazu, sich an ihrem Kuss zu erfreuen, denn schon im nächsten Moment wand sie sich aus seiner Umarmung und gab ihm eine schallende Ohrfeige.
Benommen von ihrem plötzlichen Stimmungswandel hob er die Hände, um sich ihrer zu erwehren. Sein Zorn loderte erneut auf. Mit einer Hand umschloss er ihre Handgelenke und schüttelte sie so heftig, bis er glaubte, ihre Zähne klappern zu hören.
“Hör auf damit! Komm zur Besinnung.”
“Elender Schuft!” Sie befreite sich aus seinem Griff. “Wie kannst du es wagen, mir solch einen Schrecken einzujagen? Hättest du nicht rufen können, anstatt wie ein wildes Tier durchs Dickicht zu stürmen?”
“Hättest du geantwortet, wenn ich gerufen hätte?”, schrie er zurück.
“Bist du von Sinnen? Natürlich hätte ich das getan.”
“So? Bist du nicht heute Morgen heimlich davongeschlichen, ohne ein Wort zu sagen? Glaub mir, es war wirklich nicht leicht, dich in der Dunkelheit aufzustöbern.”
Sie hatte keine boshafte Erwiderung auf der Zunge. Zumindest nicht für diesen Augenblick. Als sie schließlich antwortete, klang es, als wäre ihr Zorn verebbt.
“Hätte ich dir gesagt, wohin ich gehe, hättest du doch nur versucht, mich aufzuhalten.”
“Aye. Ich hätte dich vor der Torheit bewahrt, in die Wildnis zu laufen ohne etwas Wegzehrung.”
“Ich habe Geld bei mir”, brauste Jenny auf. “Und mein Hochzeitskleid”, fügte sie unsicher hinzu.
“Hast du erwartet, dass ein Fisch aus den Fluten springt und sich selbst brät für einen Penny?” Schließlich erfasste ihn Erleichterung, dass sie wohlauf
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