Die schottische Braut
er sich dessen doch nur sicher sein! Er hatte noch nie eine Frau getroffen, die so entschlossen – nein, so starrköpfig war – wie Jenny Lennox. Ob es nun die Überquerung des Ozeans war, das Überleben des Schiffbruches oder das Lernen, sie wusste, was sie wollte, und handelte mit einer Zielstrebigkeit, die er bewunderte. Gleichgültig, wie sehr ihn das auch manchmal reizte.
So wie jetzt.
Sie hatte sich in den Kopf gesetzt, Roderick Douglas zu ehelichen, und nichts sollte ihr dabei im Weg stehen. Am wenigsten ihr Herz, welches sich vielleicht nach etwas anderem sehnte.
Wie weit noch?
Jenny hielt inne, ihr leichtes, aber unhandliches Bündel entfiel unbemerkt ihrer Hand. Die Abendsonne ging am Horizont unter, den sie jedoch durch das Dickicht der Bäume nicht sehen konnte. Die länger werdenden Schatten machten es schwer, den Pfad zu finden. Vielleicht war sie bereits von ihm abgekommen?
Der salzige Fisch hatte sie durstig gemacht, doch sie war an keinem Bach oder Fluss vorbeigekommen, seit sie gegessen hatte. Das würde auch erklären, warum sie keine weitere Siedlung gesehen hatte. Jenny unterdrückte die aufsteigende Panik. Menschen bedurften einer Quelle frischen Wassers zum Trinken, Waschen und für ihr Vieh.
Sie verharrte kurz. Angestrengt versuchte sie, ein Zeichen für die Anwesenheit von Menschen zu entdecken. Den scharfen Geruch von einem Holzfeuer oder den zarten Duft von frischem Essen, das Kläffen eines Hundes oder das Blöken von Schafen. Alles, was sie außer ihrem pochenden Herzen und ihrem angestrengten Atem hörte, war das nahe Fiepen eines Tieres. Ihr stieg nur der würzige Geruch des Nadelwaldes in die Nase. Sie war sicher, dass es im Umkreis von vielen Meilen keine anderen Menschen gab.
Plötzlich wurde sich Jenny bewusst, dass sie allein war. Nie hatte sie sich so einsam gefühlt wie in diesem riesigen Wald. Niemals war sie sich so klein vorgekommen wie im Schatten dieser gewaltigen Bäume.
Noch nie hatte sie sich so fremd gefühlt wie in diesem wilden, rauen Land.
Sie wehrte sich gegen ein Schluchzen, das ihr in die Kehle stieg. Entschlossen presste sie die Lippen zusammen, hob das hinuntergefallene Bündel auf und ging weiter. Trotz ihrer Angst hatte sie keine Wahl, als weiterzuwandern. Umzukehren war kein Ausweg, obgleich es ihr immer wieder in den Sinn kam. Sie spürte, dass die Rückkehr nach Richibucto, und der Gedanke, mit Harris einen weiteren Monat beisammen zu sein, in ihr Kräfte entfesseln könnte, die noch beängstigender und stärker waren als die rohe Macht der Natur, der sie jetzt ausgeliefert war.
Verbissen setzte sie einen Fuß vor den anderen und fluchte über die tief hängenden Zweige, die sie streiften, und die dicken Wurzeln, über die sie stolperte. Ihre Angst schwand einen Moment, als sie vor sich ein Stück Stoff erspähte, das in einem Dornengestrüpp hing.
Das konnte ein Zeichen dafür sein, dass sie sich einer Siedlung näherte. Zumindest bedeutete es, dass sie immer noch auf dem rechten Weg war.
Im fahlen Licht des zur Neige gehenden Tages betrachtete sie den Flicken. Entsetzen schnürte Jenny die Kehle zu, denn sie erkannte die Farbe. Sie griff hinab und betastete den Saum ihres Rockes.
Da war es.
Ein kleiner Fetzen ihres Kleides fehlte, er musste sich an dem Gestrüpp verfangen haben, als sie mindestens eine Viertelstunde zuvor an dieser Stelle vorbeigekommen war.
Der Gedanke, dass sie sich gezwungen hatte, weiterzugehen und sich dabei nicht einen Zentimeter Chatham genähert hatte, ließ Jenny auf die Knie sinken. Sie war einen ganzen Tag gewandert, hatte kaum Nahrung zu sich genommen und eine schlaflose Nacht hinter sich. Nun schmerzte ihr Körper vor Erschöpfung, und sie fühlte sich schläfrig, doch wagte sie nicht, diesem Drang nachzugeben.
Sie ballte die Hände zu Fäusten und blickte zum Himmel empor. “Verdammt sollst du sein, Harris Chisholm!” schrie sie voller Verachtung.
Irgendwie erleichterte dieser Gefühlsausbruch sie.
Verdammter Harris Chisholm. Das war alles seine Schuld. Hätte er sie doch nur in Ruhe gelassen. Den Abstand zu ihr gewahrt. Anstatt ihre Zweifel zu nähren, wenn sie sich ihrer selbst gewiss sein musste. Sie fühlte Dinge, die sie nicht empfinden durfte.
Welche Wahl war ihr geblieben, als davonzulaufen.
“Nein”, berichtigte sich Jenny laut, bloß um für einen Augenblick eine menschliche Stimme zu vernehmen. “Ich laufe vor Harris
nicht
weg. Ich gehe
zu
Roderick Douglas.”
Als sie die Unsicherheit in
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