Die schottische Braut
war. “Oder hattest du vor, dein Kleid zu verspeisen?”
“Ich dachte, ich würde unterwegs auf Herbergen treffen”, ereiferte sie sich hitzig. “Bei uns zu Hause gibt es breite Straßen, auf denen man oft Menschen trifft.”
Er unterdrückte ein Lachen. “Doch hier kannst du vierzig Meilen wandern, ohne jemand zu begegnen. Und du wirst keine Schenke finden, wo du ein Quartier für die Nacht bekommen könntest.” Er griff nach dem Ranzen, den er auf dem Rücken trug. “Möchtest du etwas zu trinken?”
“Gern.” Sie klang besänftigt. Vielleicht sogar reumütig.
Er öffnete die Flasche und reichte sie ihr. “Nicht alles. Ich habe nicht mehr viel. Hoffentlich reicht es, bis wir wieder bei dem Bach von Vautours sind.”
Unvermittelt setzte sie die Flasche ab. “Was soll das heißen?”
“Wir können jetzt nicht umkehren.” War das nicht klar nach der Verfolgung, die sie hinter sich hatten? “Wir müssen jetzt bleiben, wo wir sind, und versuchen, unsere Spur wieder zu finden, sobald der Tag anbricht.”
“Du meinst,
deine
Spur wieder zu finden. Ich kehre nicht nach Richibucto zurück, Harris. Wenn die Sonne aufgeht, setze ich meinen Weg nach Miramichi fort.”
Das verblüffte ihn noch mehr als der ungestüme Kuss, den sie ihm gegeben hatte.
“Du bist ein verrücktes Weib. Hast du gar nichts aus dem gelernt, was heute Nacht geschah? Du kannst dich verirren und nie wieder aus diesen Wäldern herausfinden. Du kannst verhungern oder verdursten. Oder ertrinken, bei dem Versuch, einen Fluss zu durchwaten.” Die Gefahren, die vor ihr lagen, waren so zahlreich und so offensichtlich, dass Harris die Worte nicht schnell genug herausbrachte.
“Und überhaupt”, unterbrach Jenny ihn, “hast du Schuld, dass ich mein Bündel verloren habe. Ich vermute zwar, dass ich es am Morgen wieder finde, doch es hätte für diese Nacht ein gutes Kissen abgegeben.”
Sprachlos blickte er sie an.
Jenny
war
verrückt geworden. Es konnte keine andere Erklärung dafür geben. Ruhig von Kissen und Hochzeitskleidern zu reden. Darauf zu bestehen, den Weg nach Miramichi zu gehen, obwohl jeder Narr erkennen konnte, wie gefährlich ein solches Vorhaben war. Die Verfolgungsjagd durch den Wald musste ihre Sinne durcheinander gebracht haben.
Harris unterdrückte seinen Ärger und versuchte, in einem unbekümmerten und besänftigenden Tonfall zu sprechen. Jenny war vermutlich völlig erschöpft. Sie würde am Morgen schon wieder zur Besinnung kommen.
“Keiner von uns beiden wird heute Nacht irgendwohin gehen, Jenny.” Dagegen würde sie sicher nichts einwenden. “Ich werde mich gegen diesen Baumstamm lehnen, um auszuruhen. Du kannst deinen Kopf an meine Schulter legen. Sie mag zwar nicht so weich sein wie dein Hochzeitskleid, doch wenn du so müde bist wie ich, wirst du es nicht bemerken.”
Sie gähnte. “Ich nehme an, dass es nicht schadet.”
Harris spürte, wie sie näher kam. Sie gähnte erneut, und er tat es auch.
“Diese eine Nacht wenigstens”, fügte sie schläfrig murmelnd hinzu.
Jenny hatte sich kaum an Harris geschmiegt, als er ihren gleichmäßigen Atem vernahm, denn sie war bereits eingeschlummert.
Er versuchte, sich zu entspannen, um selbst Schlaf zu finden. Doch irgendetwas hielt ihn wach. Vermutlich waren es seine Beschützerinstinkte, die bei jedem Rascheln im Gebüsch erwachten, oder die dunkle Ahnung einer Gefahr. Vielleicht war es seine Sorge um Jenny, die er den ganzen Tag mit sich herumgetragen hatte wie eine zweite Last. Oder war es die Wärme ihres Körpers, die auf seinen überging, oder ihr zarter Duft, der ihm in die Nase stieg? Das alles wühlte Gefühle in ihm auf, die er sich nicht gestatten wollte.
Harris blickte empor zum Nachthimmel, von dem ein dünner Streif durch das Laubwerk über ihm sichtbar war. Der Vollmond strahlte jetzt auf sie herab. Er konnte sich genauso gut nach dem Mond sehnen wie nach Jenny Lennox. Von Anfang an hatte sie ihn nicht im Unklaren gelassen, dass sie einem anderen Mann gehörte. Einem Mann, der ihr viel mehr bot als nur Träume, ehrgeizige Pläne und ein Herz, das an der brennenden Sehnsucht nach ihr zu zerbersten drohte.
Plötzlich war Harris dieses Schmerzes überdrüssig. Er war es leid, zwischen fiebernder Hoffnung und fröstelnden Schauern der Verzweiflung hin und her gerissen zu werden.
Dieses Frauenzimmer war wie eine Krankheit für ihn.
Schon hatte er gedacht, geheilt zu sein, doch dann raffte ihn erneut die Liebeskrankheit dahin. Er konnte
Weitere Kostenlose Bücher