Die schottische Rose
überraschte, die von größter Bedeutung war. Sie fragte sich, warum der junge Stewart so offen zu ihnen war, wenn er doch genau wusste, dass er trotz der viel gerühmten schottischen Gastfreundschaft hier, auf dem Hauptsitz des Grant-Clans, als Vertreter der Stewarts eher feindselig betrachtet wurde. Worauf wollte Sir Rupert hinaus? Sie kam jedoch nicht dazu, weiter darüber nachzudenken, als Sir Archibald bellend lachte.
»Es wäre mir neu, Sire, wenn Argyll von Albany auch nur einen einzigen mitfühlenden Knochen im Leib hat! Ihr wollt mir nicht ernsthaft weismachen, dass er den verdammten McPhersons nur sein Beileid ausdrücken will!«, blaffte der Chief ungläubig.
Sir Rupert zuckte mit bemühter Gelassenheit die Schultern. »So lautet der Auftrag, mit dem mein Großvater mich zum Herzog geschickt hat.« Er lächelte kühl. »Selbstverständlich werden Herzog Argyll und vor allem Aylinn die Gelegenheit auch nutzen, um einen alten Bekannten zu begrüßen.«
Er sah Juliet an, die unter dem durchdringenden Blick seiner blauen Augen unwillkürlich die Luft anhielt.
»Wie mein Großvater ebenfalls erfahren hat«, fuhr er fort, »ist Connor McPherson nach Schottland zurückgekehrt. Ich weiß nicht, ob er schon auf Mandrake Manor eingetroffen oder noch auf dem Weg dorthin ist. Man darf jedoch sehr gespannt auf das Willkommen sein, das ihn zu Hause erwartet.«
*
»Anteilnahme? Pah! Dass ich nicht lache!« Sir Archibald schlug mit der Faust so heftig auf den schweren Tisch aus massiver Eiche, dass der unvermeidliche Bierhumpen klappernd hochsprang und sich eine Bierlache gefährlich einigen Pergamentrollen näherte, die am Rand des Tisches lagen. Der Patriarch des Grant-Clans achtete jedoch nicht darauf. »Dieser verfluchte Argyll will die Wahl des neuen Chieftains der McPhersons in seinem Sinne beeinflussen, das will er!«, polterte Sir Archibald und schüttelte den Kopf. »Vor allem deshalb, weil der Chieftain dieses mächtigen Clans sehr wahrscheinlich von den anderen Clanführern zu ihrem Chief gewählt wird, so wie vorher dieses alte Schlitzohr Rob McPherson. Sollte Hamish die Wahl gewinnen, hat Argyll einen Verbündeten an seiner Seite, der noch ein Kind ist und ihm aus der Hand frisst. Das weiß auch dieser Stewart genau, selbst wenn er tut, als hätte er Kreide gefressen.«
Juliet saß am Kamin des Turmzimmers von Grant Castle, in das sie sich mit Sir Archibald zurückgezogen hatte, nachdem Lady Hether die Tafel aufgehoben und Sir Rupert sich mit dem Hinweis auf seine frühe Abreise am nächsten Tag in sein Zimmer zurückgezogen hatte. Nanette war ebenfalls schlafen gegangen, und auch Juliet war müde und erschöpft nach ihrer langen und anstrengenden Reise. Aber sie war viel zu aufgeregt über die Neuigkeiten, die sie an diesem Abend erfahren hatte, um schlafen zu können. Jetzt stand sie von dem gepolsterten Stuhl auf und rieb sich die Arme unter dem dünnen Samtstoff ihres Kleides. Sie fror ein wenig trotz des Feuers, was sicher nicht nur an ihrer Müdigkeit lag. Es war schon spät, und die Nächte hinter den massiven Steinmauern von Grant Castle waren trotz der sommerlichen Jahreszeit kühl, vor allem in den weniger komfortablen Räumen, zu denen dieses Turmzimmer gehörte. Sie trat an den Tisch und räumte die wertvollen Landkarten aus der Gefahrenzone. Das brüchige Pergament würde es nicht gut verkraften, wenn es mit Bier getränkt wurde.
Juliets Blick glitt über die kahlen Steinmauern, an denen statt wärmender Gobelins Schilde und Speere, Morgensterne, Schwerter und eine mächtige, doppelschneidige Streitaxt hingen. Der martialische Wandschmuck verriet, dass dies das Privatgemach des Laird von Grant Castle war. Auf einem hölzernen Gestell in einer Ecke war seine Rüstung aufgebaut, und in dem grob gezimmerten Regal daneben lagen weitere zusammengerollte Karten. Sie zeigten die Umgebung von Grant Castle, von ganz Schottland, von England und sogar von Teilen Frankreichs. Solche Karten waren extrem selten und ungeheuer kostbar, selbst für Herzöge und Könige, erst recht jedoch für einen schottischen Clanchef. Dennoch wäre Juliet in diesem Moment eine warme Wollstola erheblich lieber gewesen als alle Karten dieser Welt. Sie ärgerte sich, dass sie nicht noch rasch in ihr Gemach gegangen war und ihren Umhang geholt hatte, weil sie Nanettes bohrende Fragen hatte vermeiden wollen. Die Blicke ihrer Freundin an der Tafel hatten Juliet nur allzu deutlich gezeigt, dass die Neugier ihrer immer nach
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