Die schottische Rose
ob er ihrer Mission gefährlich werden könnte, hielten Nanette wenigstens davon ab, Juliet allzu sehr nach ihrer Begegnung mit dem »Kentauren« am Elfenteich zu löchern. Die kurze Fahrt vom Teich nach Grant Castle war schon schlimm genug gewesen. Nicht nur, dass sich Juliet endlose Vorwürfe von Nanette hatte anhören müssen, was ihr alles hätte zustoßen können, »Nicht auszudenken, gleich zwei Grobiane, Wilderer und Strauchdiebe obendrein, und du allein im Teich. Unbekleidet! Mon Dieu!«. Sie musste sich auch noch das Versprechen abringen lassen, so etwas nie wieder zu tun, jedenfalls nicht ohne sie! Und als wäre das nicht genug, hatte ihre aufmerksame und einfühlsame Vertraute aufgrund von Juliets einsilbigen, fast träumerischen Antworten schnell gewittert, dass ihr die Freundin etwas viel Interessanteres als die Begegnung mit zwei möglichen Vergewaltigern und Mördern verschwieg.
Mit ihrem untrüglichen Gespür für delikate Einzelheiten hatte Nanette als Schuldigen für Juliets Geistesabwesenheit sofort den angeblichen Kentauren ausgemacht und sie bis zu ihrer Ankunft auf Grant Castle mit unangenehm forschenden Fragen nach diesem Mann bombardiert. Fragen, auf die Juliet ihr keine befriedigenden Antworten hatte geben können oder vielmehr, wenn sie ehrlich war, nicht hatte geben wollen, was ihre Verwirrung nur noch mehr gesteigert hatte. Denn seit dieser Begegnung konnte sie kaum an etwas anderes denken als an diesen gutaussehenden und sehr männlichen Wilderer.
Juliet wurde aus ihren Gedanken gerissen, als sie die fast atemlose Stille an der Tafel wahrnahm. Offenbar warteten alle auf ihre Antwort. Sie verbannte die Erinnerung an Kentauren und faszinierende Wilderer mit rauchgrauen Augen hastig aus ihrem Kopf und zwang sich zu ihrem strahlendsten Lächeln, als sie den forschenden Blick des jungen Mannes erwiderte.
»Nein, Milord. Das hat er nicht«, beantwortete sie seine Frage, ob sich der Unbekannte ihr nicht vielleicht vorgestellt habe, und fuhr, um das leidige Thema endlich zu beenden, fort: »Zudem fürchte ich, handelte es sich bei diesem Mann weder um ein Einhorn noch um einen Kentauren, und er hatte wenig Fabelhaftes an sich.«
Der durchdringende Blick der blauen Augen des jungen Stewart war nach wie vor auf sie gerichtet, aber er wirkte nicht boshaft oder hinterlistig, wie sie es erwartet hatte. Es fiel ihr schwer, einen Feind in diesem Mann zu sehen, er war ihr sympathisch – nicht zuletzt deshalb, weil er aller Versuche Sir Archibalds zum Trotz, sie als oberflächliches, unerfahrenes französisches Edelfräulein darzustellen, keineswegs von Juliets Naivität überzeugt zu sein schien, sondern ihr vielmehr mit einem gewissen Respekt begegnete.
»Tatsächlich?« Sir Rupert betrachtete Juliet forschend. »Worum dann, Milady?«
»Ich bin sicher, dass er ein Mensch aus Fleisch und Blut war wie Ihr und ich«, antwortete Juliet. »Und zudem nichts weiter als ein gemeiner widerlicher Wilderer.«
»Ein Wilderer?« Sir Rupert bemerkte die Röte auf ihren Wangen. Wer auch immer dieser Mann gewesen sein mochte, wenn er sich nicht vollkommen in dieser wahrhaft interessanten Frau täuschte, fand sie diesen Mann vom Elfenteich alles andere als »widerlich«. Und ein gemeiner Wilderer war er vermutlich ebenfalls nicht. »Das wage ich ernsthaft zu bezweifeln, Milady«, widersprach er respektvoll.
»Wie bitte?«, fuhr Juliet hoch. »Wollt Ihr mir etwa unterstellen, dass ich einen solchen Barbaren faszinierend …?«
Sir Rupert hob beschwichtigend die Hand. »Ich will Euch keineswegs etwas Derartiges unterstellen, Milady. Aber glaubt mir, in Schottland gehen die Wilderer ihrem unrechtmäßigen Gewerbe zu Fuß nach. Könnten sie sich Pferde leisten, würden sie wohl kaum das Wild anderer Leute stehlen.«
Natürlich, dachte Juliet. Wieso bin ich nicht selbst darauf gekommen?
»Um Kentauren, Einhörner oder Wilderer mache ich mir im Augenblick wirklich keine großen Sorgen, Sir Rupert«, knurrte Sir Archibald jetzt in einem wenig eleganten Versuch, das Thema zu wechseln. »Sondern eher um anderes Gesindel, das in unserem geliebten Schottland sein Unwesen treibt. Leute, die sich Ritter schimpfen, sich jedoch wie die übelsten Raubritter aufführen. Die haben es nicht auf Fasane und Kaninchen abgesehen.« Er schob kriegerisch sein Kinn vor.
Der junge Stewart ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. »Gewiss, Sir Archibald«, erwiderte er gelassen. »Und Ihr steht mit Eurer Sorge um Schottlands Wohl auch
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