Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Schreckenskammer

Titel: Die Schreckenskammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Benson
Vom Netzwerk:
förmlich rot glühte. Eine Weile saß sie wie gelähmt auf ihrem Pferd und betrachtete weinend die Legionen der Gefallenen, so zumindest die Berichte der wenigen Überlebenden, die sie dort gesehen hatten. Es heißt, dass sie in diesem Augenblick verzweifelt ihre Sünden hatte beichten wollen, noch bevor dieser Tag bitterer Sündhaftigkeit zu Ende gegangen war. Doch Gott riss sie aus ihrem Wahn – dies an und für sich schon ein Wunder – und brachte sie dazu, den Befehl über jene Bürger zu übernehmen, die überlebt hatten.
    Doch nun hätte Gott sie beinahe verlassen. Der englische Befehlshaber Talbot erkannte die Gelegenheit und schickte Truppen aus, um sie von hinten anzugreifen. Nun war sie, ohne Rückzugsmöglichkeit, zwischen feindlichen Kräften gefangen. Als Milord von dieser schrecklichen Situation erfuhr, ritten er und der vagabundierende Krieger La Hire direkt zu Saint-Loup. Sie kamen von hinten und griffen die Engländer mit derselben Boshaftigkeit an, die diese beim Niedermetzeln jener Städter angewandt hatten, die Jeanne vor einer Stunde noch beweint hatte. Jeanne wandte nun die Überreste ihrer eigenen Truppen ebenfalls gegen die Engländer, und nun saß der Feind in ebenjener Falle, die er ihr zuvor gestellt hatte.
    Wäre Milord ihr an diesem Tag nicht zu Hilfe geeilt, wäre der Bastard Charles wohl nie gekrönt worden. Wir blieben Sieger in dieser Schlacht, obwohl alles gegen uns stand, und das war vorwiegend ein Verdienst von Gilles de Rais.
    Die Platten mit unserem Abendessen standen vor uns auf dem Tisch. Nach einem leisen, höflichen Rülpser überraschte Jean de Malestroit mich mit einer Enthüllung. »Milord hat seinen Bediensteten gesagt, er sei nach Josselin gegangen, um Gelder einzufordern, die der Herzog ihm noch schulde. Doch niemand lässt sich zum Narren halten. Viele seiner Diener haben schon lange keinen Lohn mehr erhalten, und sie murren mächtig.«
    »Ihr müsst Spitzel unter ihnen haben.«
    Jean de Malestroit leugnete es nicht, sondern wechselte das Thema. Er wischte sich den Mund mit einer serviette und schob den Teller weg. »Die Stunde der Vespern ist nah«, sagte er. »Wir müssen uns um die Vorbereitungen kümmern.«
    Ich konnte nichts anderes tun, als den Blick zu senken und zu nicken. Gemeinsam erhoben wir uns mit raschelnden Gewändern. So ergeben wie immer folgte ich ihm aus der Kammer.
    Doch als wir draußen waren, täuschte ich Vergesslichkeit vor und sagte: »Ach du meine Güte, das wäre mir beinahe entfallen. Schwester Elene wollte mich unbedingt sehen, ich glaube, es geht um Haushaltsdinge.«
    »Nun, dann sputet Euch. Gott wartet nicht gerne.«
    Ich nickte. Dann wandte ich mich nach einer schnellen Verbeugung von ihm ab, gerade noch rechtzeitig – mit den Röcken in der Hand eilte ich den Gang entlang, bis ich weit genug weg war, so dass er mein Schluchzen nicht hören konnte.
     
    Der Innenhof war dunkel und still; eine leichte Brise brachte Erfrischung nach der Hitze des Tages, die noch drückend auf allem lastete. Das Mysterium der Messe wohnte noch in mir.
    »Ich habe eben verlockende Neuigkeiten gehört«, sagte Frère Demien, als wir langsam zum Kloster gingen. »Ich habe erfahren, dass Eustache Blanchet schon vor einiger Zeit aus Machecoul geflohen ist.«
    »Nein«, erwiderte ich. »Das würde er nie tun.«
    »Doch. Nach Mortagne – es heißt, er wollte Milord den Dienst aufkündigen.«
    Es heißt.
    Das würde seine Abwesenheit bei den Osterfeierlichkeiten erklären. »Aber warum? Er liebte doch seine Stellung als Milords Priester, und ich kann mir nicht vorstellen, dass er sie aufgibt.«
    Frère Demien schien ähnlich verwirrt und zuckte nur die Achseln. »Wer weiß, Schwester. Aber es ist in der Tat unheimlich. Vielleicht tat er es unter Zwang. Inzwischen ist Blanchet wieder in Machecoul, aber offenbar herrscht kein Frieden zwischen ihnen.«
    Die verwegenen oder verzweifelten Taten eines gemeinen Mannes sind nicht immer der Stimme eines Ausrufers wert, aber die eines Priesters ziehen besondere Aufmerksamkeit auf sich, vor allem unter seinen Vorgesetzten. Ich frage mich, warum Jean de Malestroit es mir vorenthalten hatte.
    Als ich später Blanchets persönliche Zeugenaussage hörte, verstand ich.
    Poitou und Henriet brachten François Prelati und mich von unserer Unterkunft in Saint-Florent-le-Vieil in Tours zu Milords Schloss in Tiffauges. Nun, in dieser Zeit suchte Lord Gilles häufig Prelatis Gesellschaft – ja, ich bestätige, dass der

Weitere Kostenlose Bücher