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Die Schreckenskammer

Titel: Die Schreckenskammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Benson
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der Verstärkung sowie den Vorräten, die die Armeen der Jungfrau brauchten, falls es überhaupt noch Hoffnung auf Sieg geben sollte, in Orléans ein. Auf einem Feld vor der Stadt empfing die Jungfrau Jeanne sie in der Gesellschaft vieler angesehener Edelleute, darunter Sainct Severe und der Baron de Coulonces, alles höchst lösegeldträchtige Männer, deren Gefangennahme für jeden Engländer eine Großtat gewesen wäre. Zusammen mit dem Bastard Charles ritten all diese Herren direkt vor den Augen der Engländer in die Stadt Orléans zurück. Es musste wohl als das größte ihrer Wunder betrachtet werden, dass gegen sie kein Schwert erhoben, kein Speer geschleudert und kein Pfeil geschossen wurde.
    Doch am selben Tag erhielt Baron Dunois die Nachricht, dass der englische Hauptmann John Fastolf mit frischen Truppen und Vorräten unterwegs sei, und so erklärte sich, warum die Engländer nicht angegriffen hatten – sie hatten sich in Erwartung der Verstärkung weise zurückgehalten.
    Dunois eilte sogleich in die Gemächer der Jungfrau, um ihr von dieser Besorgnis erregenden Wendung der Ereignisse zu berichten, erzählte mir Etienne. Er war schier außer sich vor Verzweiflung. Sie bat Dunois, ihr mitzuteilen, wenn Fastolf eingetroffen sei, und dann begab sie sich, da sie völlig erschöpft war, in das Bett, das sie mit ihrer Gastgeberin teilte. Wie kann ein Krieger sich schlafen legen, wenn so etwas bevorsteht. Soldaten tun so etwas nicht!
    Dieser Soldat war ein junges Mädchen, sagte ich meinem Gatten. Sie brauchte Ruhe.
    Wir alle hielten das für widersinnig – töricht jenseits aller Vorstellung! Dass ein Krieger sich nicht bereitmacht, wenn eine Schlacht droht …
    Ihre Ruhe sollte nicht lange dauern. Kaum hatten ihre Zofen und ihre Gastgeberin sie verlassen, schrak sie hoch und hielt sich den Kopf – neuerlich kreischten die Stimmen in ihr. Sie hatte eine hitzige Schlacht sich entwickeln gesehen und gehört, doch sie schwor bei der Heiligen Jungfrau, es sei eine Vision gewesen, kein Traum, deshalb sprang sie von ihrem Lager auf und lief nach draußen, um in Erfahrung zu bringen, ob diese Schlacht tatsächlich im Gange sei. Dort wurde sie von einer neuen Vision erfasst; sie stürzte, den Kopf zwischen den Händen, zu Boden und schrie: Les voix, les voix! Die Stimmen gaben ihr Befehle, aber sie wusste nicht, was Gott von ihr wollte. Sollte sie Fastolf, der seine Anwesenheit noch nicht kundgetan hatte, abfangen, oder sollte sie eine andere Schlacht suchen? Ihr schrilles Klagen der Unentschlossenheit weckte jeden in ihrer Unterkunft und alle in der näheren Umgebung.
    Aber dann erhob Jeanne d’Arc sich aus ihrer Verwirrung; sie legte ihre weiße Rüstung an und ritt zum Burgoyner Tor hinaus, von wo aus man Flammen in den Himmel lodern sah. Schwache Kampfgeräusche kamen aus dieser Richtung, und bevor jemand sie daran hindern konnte, ritt sie darauf zu. Ihre Zofe alarmierte die Herren, deren Armeen zu ihrer Unterstützung zusammengezogen worden waren, darunter auch Gilles de Rais, der, so Etienne … einen Strom von Flüchen losließ, der die Blätter der Bäume hätte verwelken lassen können. Hätte die Jungfrau ihn in diesem Augenblick gehört, hätte sie ihn wohl von ihrer Seite verbannt, denn eine solche Sprache hatte sie ihren Truppen streng verboten. Alles wäre verloren gewesen.
    Ich konnte mir die deftigen Worte, die an diesem Tag über seine Zunge flossen, nur vorstellen, Etienne wollte sie nicht wörtlich wiederholen, denn keine Frau sollte sie hören, vor allem nicht seine Gemahlin. Aber ich wusste Bescheid – Milord hatte eine unverwechselbare Sprache. Von frühester Kindheit an entgeisterte er mich mit Flüchen, so vulgär wie jene, die sein viehischer Großvater beständig von sich gab.
    Mich schauderte bei dem Gedanken, dass, wäre Jeanne d’Arc in diesem Augenblick nicht außer Hörweite gewesen, Frankreich womöglich verloren gewesen wäre, denn es war Milord Gilles, der sie an diesem Tag vor dem sicheren Tod errettete. Hätte sie ihn fortgejagt, wer weiß, wie alles ausgegangen wäre.
    Am Tor fand sie die Bürger der Stadt in einer offenen und blutigen Schlacht – die Narren hatten sich aus eigenem Antrieb gegen die verhassten Engländer geworfen. Sie wussten nicht, wie man kämpfte, und hatten keine Waffen außer ihren Knüppeln und Sensen, so dass die Jungfrau, als sie dort ankam, überall um sich herum Tote und Verwundete liegen sah in dem Schlamm, der so vom Blut getränkt war, dass er

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