Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Schreckenskammer

Titel: Die Schreckenskammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Benson
Vom Netzwerk:
Milord, schrieb ich, ich bange um seine Seele. Haben dich auch andere Nachrichten über diese Sache aus andern Quellen erreicht, fragte ich ihn, und falls ja, was sagen sie darüber? Wir haben versucht, verschwiegen zu sein, aber Gerüchte haben Flügel …
    Als ich nach der Frühmette zu Jean de Malestroit ging, um ihm diesen Brief zur Beförderung nach Avignon zu übergeben, fand ich ihn in einem Zustand tiefer Versunkenheit, wie er sie normalerweise nur für wichtige Staatsgeschäfte oder ernste Glaubensangelegenheiten aufbringt. Das Blatt vor ihm auf dem Tisch war von klumpiger Qualität und merkwürdiger Form, als hätte der Schreiber es selbst gefertigt. Ich hätte ihm nicht viel Beachtung geschenkt, wäre Seine Eminenz nicht derart vertieft darin gewesen.
    Ich wartete schweigend, wie es meine Pflicht war; als er zu Ende gelesen hatte, legte er das Blatt hin und rieb sich einige Augenblicke die Augen. Dann bedeckte er das Gesicht mit den Händen und seufzte durch die Finger.
    »Eminenz?«, fragte ich leise.
    Er hob das Gesicht nicht; es blieb in seinen Händen vergraben.
    »Ja«, kam die dumpfe Erwiderung.
    »Ihr seid in Sorge …«
    Er schaute mich an. »Das dürfte Euch im Augenblick doch kaum überraschen.«
    Er klopfte auf das Pergament und deutete mit einen Nicken an, dass ich selbst einen Blick darauf werfen sollte. Dann stand er auf und bot mir zum Lesen seinen Platz an.
    Die Schrift war derb, und es gab keine Unterschrift. Aber die Beschreibungen waren lebendig und konnten kaum ausgedacht sein, außer vielleicht von einem außergewöhnlich begabten Geschichtenerzähler. Drei Beispiele für Hexerei, in deren Verlauf Milord angeblich den Satan für seine eigenen Zwecke heraufzubeschwören versuchte, wurden genannt.
    Meine Hände zitterten, als ich das Blatt las.
    Sie nahmen Kerzen und einige andere Gegenstände, wie auch Lehrbücher, und mit diesen Bänden als Anleitung zogen sie mit der Spitze von Milords Schwert mehrere große Kreise. Nachdem dies getan und eine Fackel entzündet worden war, verließen alle außer dem Zauberer und Milord das Zimmer. Sie stellten sich, in einem gewissen Winkel zur Wand, in die Mitte der Kreise, woraufhin der Zauberer ein weiteres Zeichen in die Erde ritzte mit brennender Kohle, welche sie mitgebracht und darauf Magnetit und Aromen gestreut hatten, worauf ein süßer, berauschender Rauch sich erhob …
    Der Zauberer. Ich stand auf, als ich geendet hatte, und gab ihm das grobe Pergament zurück. »Glaubt Ihr das?«
    Er zögerte leicht. »Die Vorfälle sind insgesamt so klar beschrieben, dass man Grund hat, das alles für möglich zu halten.«
    Die Antwort auf meine nächste Frage war mir wohl bekannt, aber ich stellte sie trotzdem, wohl deshalb, weil ich Besseres erhoffte. »Was ist jetzt zu tun?«
    Er ging in der Kammer auf und ab, doch seine Schritte machten kein Geräusch. »Diese Beschuldigungen sind so schwer wiegend, dass es meine Pflicht ist, wenn nötig auch gegen meinen eigenen Willen, sie offiziell zu untersuchen. Da der Sachverhalt der Ketzerei so glaubhaft aufgeworfen wurde … Herzog Jean wird von mir verlangen, dass ich gegen ihn vorgehe.«
    »Der Vorwurf der Ketzerei muss von einem Richter der Inquisition verfolgt werden«, sagte ich, während mir Tränen in die Augen stiegen. »Ob vorzugehen ist oder nicht, habt Ihr, und Ihr ganz allein, zu entscheiden.«
    Er würde es von sich selbst verlangen, daran hatte ich keinen Zweifel.
    »Nicht ich habe das zu entscheiden, Schwester«, behauptete er, »sondern Gott.«
    Mit zitternder Stimme flüsterte ich: »Ich weiß nur zu gut, wie das ausgehen wird. Gott entscheidet immer auf eine Art, die mir und den Meinen nicht gnädig ist.«
    »Ihr müsst mehr Glauben haben. Gott ist gnädig zu allen seinen Geschöpfen, aber oft erkennen wir Seine Gnade nicht, wenn sie uns begegnet. Doch keiner von uns kann sich verstecken – wir müssen uns fügen mit Bereitwilligkeit und Demut.«
    Von Gilles de Rais würde es für diese Gnade Gottes weder Bereitwilligkeit noch Demut geben. Angesichts seines mit Sicherheit drohenden Untergangs wagte Milord seinen dreistesten Schachzug- und wenn nicht dreist, dann ohne jeglichen Zweifel wahnsinnig. Er suchte Herzog Jean auf.
     
    Dreistigkeit war ihm nicht fremd, und Wagemut auf keinen Fall; es heißt, wenn Jeanne d’Arc es von ihm verlangte, habe er gekämpft wie Ariel, Gottes eigener Löwe. Am vierten Tag des Mai im Jahre 1429 traf der junge Milord de Rais zusammen mit Baron Dunois und

Weitere Kostenlose Bücher