Die Schreckenskammer
vernichtet durch meinen Verkehr mit Männern, die wir inzwischen als Ketzer kennen. Sie taten mir nichts, sondern brachten mich direkt zu Milord nach Machecoul, wo ich zwei Monate lang gegen meinen Willen festgehalten wurde.
Gilles de Rais verließ Josselin unbeschadet, zumindest körperlich. Was für eine Auswirkung die Audienz auf seine Gemütsverfassung gehabt haben mochte, konnte ich nicht sagen, aber ich stellte mir vor, dass Milord – angesichts der verzweifelten Situation, in der er sich befand – über den unglücklichen Ausgangs des Gesprächs zwischen ihm und Herzog Jean sehr wütend sein musste. Falls Eminenz etwas wusste, sagte er mir nichts. Unsere täglichen Pflichten erledigten wir mit zur Schau getragener Gelassenheit, doch darunter lag ein brodelnder Kessel der Neugier.
Morgenmette, Vespern und alles, was dazwischen lag – das war mein Leben. Ich brachte meine Zeit damit zu, zwischen dem Kloster und dem Palast hin und her zu gehen und von einer Pflicht zur nächsten zu wechseln. Eines Abends auf dem Weg zum Kloster hörte ich in der Ferne einen Reiter. Ich hatte eben den Bogengang betreten, der den Hof säumt und direkt zum Konvent führt, und stellte mich in den schützenden Schatten, als das Geräusch schneller Hufe an meine Ohren drang, zuerst nur schwach, dann Furcht erregend anschwellend, bis die Erde unter meinen Füßen ob der Gewalt der Tritte erzitterte, lange bevor der Verursacher – ein Reiter, der auf den Hof donnerte – sich zeigte. Von irgendwo aus einem anderen Schatten tauchte ein Stallknecht auf, der das schäumende Pferd an die Kandare nahm, während der Reiter absprang.
Meine Neugier brannte; ein Reiter aus Avignon würde sich nicht so beeilen, außer die Gerüchte über die Gesundheit Seiner Heiligkeit wären tatsächlich wahr. Aber der Himmel war noch nicht eingestürzt, und ich nahm deshalb an, dass sie nicht stimmten.
Die Nacht brachte ich mit schlaflosem Grübeln zu, und wenn mir doch einmal die Augen zufielen, schlief ich schlecht. Als ich am nächsten Morgen den Bischof aufsuchte, war ich stachelig wie ein Dornenbusch. Die gewohnten allmorgendlichen Höflichkeiten, ansonsten ein tröstendes Ritual, schienen mir plötzlich eine lästige Verstiegenheit zu sein.
»Der Bote«, sagte ich wissbegierig.
Jean de Malestroit schien überrascht. »Es gibt nichts Neues aus Avignon, außer dem, was ich Euch bereits gegeben habe«, sagte er mir.
»Nein, Eminenz, der Reiter, der gestern Abend ankam, als ich mich eben zur Ruhe begab …«
Nach einer Pause sagte er: »Ach. Dieser Bote. Ich habe mich schon gefragt, ob jemand ihn gesehen hat.«
»Er kam herangejagt wie ein Gewitter. Man konnte ihn unmöglich überhören. «
»Ach ja … nun, ich werde wohl Vorschriften erlassen müssen bezüglich der Ankunft von Reitern, damit niemand gestört wird.«
»Kam er aus Josselin?«
Er nickte langsam und wühlte dann in Pergamenten, als wollte er meine Fragen vereiteln.
»Nun, was hatte er zu sagen?«
Jean de Malestroit begann sich zu winden, als wäre ihm unbehaglich zumute. Schließlich sagte er: »Ich muss Euch leider sagen, dass Herzog Jean keine Einzelheiten seiner Begegnung mit Gilles de Rais verlauten ließ. In dem Brief, den er sandte, teilte er nichts von Bedeutung mit, außer dass Milord Gilles seine Hilfe und Unterstützung bei der Lösung des Problems mit Saint-Etienne erbeten hatte.«
»Die er natürlich nicht erhielt, gleichgültig, welche Gegenleistung er auch versprach.«
»Nein, die erhielt er nicht. Und er hat in Bezug auf Gegenleistungen nichts mehr anzubieten. Keine Mittel, mit denen er noch schachern könnte.«
Ich hatte nicht gewusst, dass sein Vermögen bereits derart geschwunden war. »Aber …«, sagte ich, »er hat doch sicherlich mehr gesagt …« Mir fehlten die Worte, ich wusste nicht, wie ich ihm das Wissen entlocken sollte, wonach ich so verlangte. Er vermied geschickt zu erwähnen, wie zu verfahren man ihm aufgetragen hatte, was völlig unabhängig war von dem in Josselin Vorgefallenen, aber mit Sicherheit in diesem dringenden Schreiben enthalten gewesen war. Er wandte sich von mir ab und ging zu seinem Schreibtisch, der von einem Ende zum anderen mit Pergamenten übersät war. Sobald er sich wieder in sie vertieft hätte, würde ich nicht mehr zu ihm durchdringen können.
Ich wusste mir nicht mehr anders zu helfen, als ihn unverblümt zu fragen. »Sollt Ihr gegen Milord vorgehen?«
Wieder antwortete er mir nicht direkt. »Ich wurde über
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