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Die Schreckenskammer

Titel: Die Schreckenskammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Benson
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Kopfschütteln. Ich fühlte mich betrogen, vor allem, weil ich mich nicht mehr an meinen Gatten wenden und ihn fragen konnte.
    Guillaume hatte meinen Verdruss offensichtlich bemerkt, denn er sagte: »Ärgert Euch nicht, Madame. Wäre ich Euer Gatte gewesen, hätte ich Euch solch bedrückende Dinge wohl auch nicht erzählt. Aber jetzt werde ich Euch schildern, woran ich mich noch erinnere: Etienne stocherte mit der Spitze seines Schwertes in einem Gestrüpp. Als er uns sah, machte er ein Gesicht beinahe so, als hätten wir ihn bei einer Sünde ertappt. Aber er rief uns einen Gruß zu, und wir sprachen kurz miteinander. Hätte er gefragt, was wir im Wald machten, hätte mère ihm geantwortet, dass wir auf der Suche nach Arzneikräutern seien, aber er fragte uns nicht. Er war ziemlich beschäftigt mit dem, was er gerade tat.«
    Wenn Etienne von diesen Erkundungen zurückkehrte – immer allein –, war seine Stimmung düster und abweisend. »Er ging so oft hinaus, da muss er doch zahlreichen Menschen begegnet sein, denke ich mir zumindest.«
    »Wir sahen nicht viele Leute. Ich glaube, nach Guy de Lavals unglückseliger Begegnung mit dem Keiler und dem Verschwinden Eures Sohnes wagte sich keiner, der in der Umgebung wohnte, mehr in diesen Teil des Waldes. Wie es auch in Paris geschah, als dort Wölfe umherstreiften.«
    »Ach ja. Möge Gott uns alle beschützen.«
    Im letzten Herbst hatte ein bösartiger Wolf, der Courtaut genannt wurde, weil er sich selbst den Schwanz abgebissen hatte, um sich aus einer Falle zu befreien, eine Woche lang dreist ein Rudel seiner Brüder und Schwestern durch die Straßen von Paris geführt. Gemeinsam griffen sie zwischen Montmartre und der Porte Saint Antoine Dutzende von Menschen an und verstümmelten sie. Sie versteckten sich in den Weinbergen und Sümpfen und kamen nachts heraus, um den verängstigten Bürgern aufzulauern, die innerhalb der Stadtmauern lebten. Wenn sie auf eine Herde Schafe, ihre natürlichen Opfer, stießen, ließen sie diese in Frieden und griffen stattdessen den Schäfer an. Als Courtaut am Martinstag schließlich gefangen wurde, schob man ihn in einem Karren durch die Straßen, das Maul weit aufgerissen, damit jeder seine blutigen Zähne sehen konnte.
    »Aber wenn es so gefährlich war, warum gingt dann Ihr und Eure Mutter in den Wald?«
    »Gleich nach meiner Geburt waren wir einige Jahre lang getrennt, und sie kannte deshalb den Schmerz, ein Kind zu verlieren, nur zu gut. Bevor wir wieder vereint wurden, war sie viele Male kurz davor, die Hoffnung zu verlieren, wie sie mir mehr als nur einmal erzählte.«
    Meine Augen wurden feucht. Das war etwas, das ich nicht gewusst hatte. Ich hätte sie getröstet, wenn sie es mir erzählt hätte, aber vielleicht hatte sie keinen Trost gewollt – Catherine Karle war eine Frau, deren Schultern schier unendliche Lasten tragen konnten. Ich senkte den Blick und sagte leise: »Die Hoffnung verliert man nie. Insgeheim hoffe ich immer noch, dass Michel eines Tages zu mir zurückkommt. Meine größte Angst ist, dass ich ihn nicht erkennen könnte, falls es geschieht.«
    Guillaume schwieg eine Weile, wie auch Frère Demien. Das einzige Geräusch war unser gemeinsames Atmen, bis Karle wieder zu sprechen anhub.
    »Madame«, flüsterte er.
    Ich hielt den Kopf gesenkt.
    Er umfasste meine Hände. »Madame«, sagte er noch einmal, »es tut mir sehr Leid, Euch sagen zu müssen, dass Euer Sohn nicht zurückkehren wird.«
    »Die Hoffnung verliert man nie«, wiederholte ich, »zumindest nicht, bis alle Hoffnung dahin ist.«
    Er drückte meine Hände. »Alle Hoffnung ist dahin.«
    Ich hob den Kopf und sah eine schreckliche Traurigkeit in seinen Augen.
    »Wisst Ihr, Madame – wir haben ihn gefunden.«
     
    Es war schon spät, das Licht verlöschte, und wir waren seit dem Mittag unterwegs. Unsere Pferde wurden langsam unruhig, aus diesem unausgesprochenen Drang heraus, der sie dazu bringt, sich zu dieser Stunde gegen ihre Reiter zu wehren. Vielleicht spüren sie die bevorstehende Dunkelheit und wollen Schutz suchen, bevor sie ganz hereinbricht. Man weiß nie, welche Schrecken der Wald für Pferde bereithält. Mein Pferd scheute sogar noch mehr als das von Mère, denn obwohl sie eine Frau von beachtlicher Größe war, hatte sie doch kaum Fleisch auf den Knochen, wohingegen ich, der nach meinem Vater kam, wie sie behauptete, viel schwerer war als sie.
    Lass uns die Pferde tränken, meinte sie, vielleicht wird die Wohltat des Wassers sie

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