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Die Schreckenskammer

Titel: Die Schreckenskammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Benson
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überraschen.«
    »Ich wünschte, ich könnte es«, sagte ihr Sohn, »aber Gott rief sie im Alter von einundneunzig Jahren zu sich. Das glauben wir zumindest. Sie erinnerte sich, den Schwarzen Tod überlebt zu haben, und so kamen wir zu diesem Schluss.« Er lächelte ein wenig wehmütig. »Doch nicht einmal sie konnte dem letzten Ruf widerstehen. Das kann niemand, auch wenn wir es noch so sehr hoffen.«
    Es war noch nicht allzu viele Jahre her. »Das tut mir aufrichtig Leid«, sagte ich. »Ich werde ihr immer dankbar sein für das, was sie für meinen Gatten getan hat. Und Euch auch.«
    Frère Demiens stumme Anwesenheit erinnerte mich daran, dass wir uns nun dem zuwenden sollten, weshalb wir gekommen waren.
    »Nun«, sagte ich mit einem wehmütigen Seufzen, »das Licht dieses Tages wird schwinden, bevor wir uns versehen. Vielleicht hat Frère Demien es Euch schon an der Tür gesagt – wir kommen eben aus Champtocé. Wir hatten dem alten Vogt aus meiner Zeit dort, der immer noch in der Festung wohnt, einen Besuch abgestattet.«
    »Ah«, sagte Guillaume, » Monsieur Marcel.«
    »Ebenjener.«
    »Einer der besten Männer, die diese Erde je gesehen hat. Wie geht es ihm? Ich denke oft an ihn, war jedoch schon lange nicht mehr dort.«
    Sein Tonfall verriet, dass er recht froh war, dort nicht mehr zu wohnen. »Er erfreut sich guter Gesundheit und fröhlichen Mutes«, sagte ich. »Und dort scheint alles wie früher zu sein, bis auf eine gewisse Vernachlässigung, die, wie man hofft, eher auf die Zeit denn auf böse Absicht zurückzuführen ist«, sagte ich. »Aber natürlich kann innerhalb dieser Mauern nicht wirklich alles so sein wie früher, ist dieser Besitz doch schon durch so viele Hände gegangen.«
    »Was nur gut war, möchte ich meinen.« Er hielt inne und fügte dann hinzu: »Es kam schließlich so weit, dass meine Mutter nicht mehr dorthin gehen wollte, unter gar keinen Umständen. Sie sagte immer, dort ginge Böses vor sich. Sie könne es in ihren Knochen spüren, meinte sie.«
     
    Ihre Knochen hatten Recht gehabt. Später sollten wir von Poitou hören: Als Milord Gilles Champtocé von seinem Bruder René de la Suze wiedererlangt hatte, gingen wir dorthin, doch nur zu dem Zweck, es wiederum weiterzugeben, diesmal an den Herzog der Bretagne. Milord hatte es ihm verkauft, doch ich vermute, dass er den Besitz nicht aufgegeben hätte, hätte er es nur irgendwie vermeiden können. Ich kenne die Feinheiten der Abmachung zwischen den beiden nicht, ich weiß nur, dass Milord sehr unglücklich darüber war und diese Übertragung unter Zwang vollzog.
    Zu diesem Zeitpunkt forderte Milord Gilles zum ersten Mal einen Schwur der Geheimhaltung von mir. Er sagte: » Poitou, nie darfst du meine Geheimnisse verraten. Niemandem. « In diesem Augenblick verstand ich nicht, was ich geheim halten sollte, aber in meiner Treue schwor ich trotzdem.
    Mit diesem Schwur nahm meine eigentliche Schande ihren Anfang.
    Milord befahl uns – Henriet, seinem Cousin Gilles de Sille, Robin Romulart und Hicquet de Brémont und mir –, in den Turm zu gehen, wo wir, wie er sagte, die Leichen und Knochen vieler toter Kinder finden würden. Er wollte sicherstellen, dass Herzog Jean sie nicht entdeckte, wenn er Champtocé in Besitz nahm. Ich glaubte ihm zunächst nicht. Aber die anderen bestätigten die Wahrheit des Ganzen, und ich begann, um meine Seele zu fürchten. Wir sollten diese Überreste einsammeln, in eine Truhe packen und sie heimlich ins Schloss von Machecoul bringen. Er sagte nicht, wie viele es waren, aber als wir dorthin gingen, fanden wir die Überreste von sechsunddreißig oder sechsundvierzig Kindern, an die genaue Zahl kann ich mich im Augenblick nicht erinnern; damals zählten wir die Schädel, um sie zu bestimmen.
    Diese » Leichname « – keiner war unversehrt – brachten wir sodann in Milords Gemächer in Machecoul. Wir reisten im Schutze der Dunkelheit, wobei wir alle neben dem Karren ritten, auf dem sich die Überreste befanden. Dort verbrannten wir mit der Hilfe von Jean Rossignol und André Buchet und unter Milords persönlicher Anleitung die Leichen im großen Kamin. Und als die Asche am nächsten Morgen erkaltet war, kippten wir sie in die Gräben und Latrinen von Machecoul. Es war nicht sehr schwierig, und wir hätten es auch in Champtocé tun können, wenn wir mehr Zeit gehabt hätten – aber der Herzog würde zu früh eintreffen, oder an seiner Stelle sein Abgesandter, der Bischof Jean de Malestroit, wir wussten

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