Die Schreckenskammer
dass mein Gatte entsetzt war, als ich ihm die Ereignisse des Nachmittags erzählte, aber er enttäuschte mich: Der junge Herr Gilles ist der erste Sohn eines edlen Hauses und muss lernen, seine Rolle als Herrscher anzunehmen. Das erfordert Seelenstärke.
Ich entgegnete ihm mit Überzeugung: Aus dem, was ihm angetan wird, lernt er nur Grausamkeit. Und Grausamkeit wird man von ihm verlangen. Dir steht es nicht zu, diese Dinge zu entscheiden. Damit war das Thema beendet. Ich aber war sehr unzufrieden.
Gilles de Rais zeigte sich an diesem Tag vor Gericht nicht als zügelloses Kind, das dringend Züchtigung brauchte, und auch nicht als une grande grotesquerie, die man meiden sollte. Stattdessen trat er auf als der, für den die Leute, denen er Unrecht getan hatte, ihn hielten, bevor dies alles anfing: als wohlhabender und mächtiger Mann in voller körperlicher Blüte, ein großer Herr mit der Macht, seine Ankläger wie Insekten zu zerdrücken, wenn es ihm beliebte. Er trug seinen Rang mit überbordender Selbstsicherheit; man zweifelte, ob er überhaupt wusste, was Bescheidenheit bedeutete. Er war an diesem Tag gekleidet wie ein kleiner Gott, in einem Überwurf aus feinstem rotem Samt, die Vorderseite üppig verziert mit teuren Juwelen und funkelndem Gold. Der Stoff fiel so unbeschreibbar weich, dass es eine Augenweide war.
»Gott möge mir verzeihen, aber er ist ein prächtiger Anblick«, hauchte Frère Demien.
Das war er wirklich. Gilles de Rais brauchte keine Schönheit, um die ihm übertragene Rolle in der Welt auszufüllen, sein Reichtum alleine hätte ihm diesen Erfolg beschert, hätte er ihn nicht verschwendet. Dennoch war er gesegnet mit Schönheit, und an diesem Tag trug er sie wie einen Rubin am Hals einer Jungfrau – der Blick verweilt darauf, auch wenn man es nicht will. Doch etwas in ihm war zerbrochen bis zur Unmenschlichkeit, obwohl seine Essenzen und Puder und Tuschen es bis dahin recht gut hatten verbergen können. Angesichts der schrecklichen Verdorbenheiten, die in seinem Charakter an die Oberfläche traten, war ich doppelt froh, dass Jean de Craons garstige Ränke für Milords Machterweiterung keine Frucht getragen hatten.
Trotz seiner Schwierigkeiten war Gilles de Rais schrittsicher und seine Haltung gebieterisch, seine Anwesenheit jedoch verstörend. Je länger das Gericht ohne ihn getagt hatte, desto leichter zu ertragen war seine Existenz geworden, als wäre er nur eine Idee des Bösen und nicht ein Mann, der sich ganz dessen Einfluss unterworfen hatte. Seine erschütternde Erhabenheit machte es schier unmöglich, sich Gilles de Rais als Angeklagten vor diesem Gericht vorzustellen. Er sah stattdessen aus, als sei er jenen, die über ihn zu Gericht saßen, ebenbürtig.
Er stand da als stumme Herausforderung für diese Männer. Jean de Malestroit ergriff zuerst das Wort, wie es sich gehörte; er räusperte sich einmal und rief dann: »Gilles de Rais, Ritter, Baron, Herr und Marschall von Frankreich.«
Die Leidensgeschichten, die endlosen lateinischen Beweise für die Rechtmäßigkeit dieses Gerichts, die weinenden Mütter, alles Bisherige schien in diesem Augenblick plötzlich ohne Bedeutung zu sein. Mit erhobenem Kopf trat Milord in den Zeugenstand. Er legte eine behandschuhte Hand auf das Heft seines Schwerts und stand in hochmütigem Schweigen da, während von Gottes Ankläger die Vorwürfe gegen ihn verlesen wurden.
»… dass Ihr eine große Anzahl von Kindern verschleppt oder Eure Anhänger dazu veranlasst habet, sie zu verschleppen …«
Ihre Namen wurden vorgelesen. Ich betete für hundert andere namenlose, seit langem verschwundene Söhne, die schmerzlich vermisst wurden.
»… dass Ihr sie widernatürlich missbraucht und mit ihnen die Todsünde der widernatürlich Unzucht getrieben habet …«
Fast wie im Traum erinnerte ich mich an die Worte, die Henriet gesagte hatte, als man ihn bei seiner Verhaftung verhörte: Und Milord verschmähte die natürliche Leibesöffnung der Mädchen, sondern verschaffte sich Lust mit Kindern beiderlei Geschlechts, indem er sein Glied zwischen ihre Schenkel schob und so lange hin und her bewegte, bis er befriedigt war.
» … dass Ihr und Eure Anhänger böse Geister angerufen und diesen Geistern geopfert und noch viele andere Verbrechen gegen Gott begangen habet, die zu zahlreich sind, um sie zu benennen.«
Jetzt klang mir Prelatis Geständnis in den Ohren: Die Worte der Anrufung, die wir benutzten, waren die folgenden: Dich, Barron, beschwöre
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