Die Schreckenskammer
ausgenommen nur mein Taufgelöbnis, das nicht geleugnet werden kann und mir das Recht gibt, ordentlich vor Gott gerichtet zu werden.«
De Touscheronde sprang wütend auf und warf die Verachtung zurück, die Milord ihm gezeigt hatte. »Der Richtspruch über Euch wird ein ordentlicher sein, Milord. Und ein wahrheitsgemäßer. Ich schwöre bei meiner Hoffnung auf Erlösung, dass alles, was in diesen Anklagen vorgebracht wird, auf wahren Zeugenaussagen beruht. Nun schwört bei Eurer Hoffnung auf ewige Gnade, dass auch Eure Worte wahr sein werden.«
Als Antwort erhielt er nur Schweigen.
»Schwört, sage ich!«
»Das werde ich nicht. Ich erkenne die Zuständigkeit dieses Gerichts nicht an.«
»Schwört!«
»Nie und nimmer!«
»Unter Androhung der Exkommunikation befehle ich Euch zu schwören!«
Gilles de Rais’ Schweigen war so laut wie eine Glocke.
Jean de Malestroit erhob sich und schlug mit seinem Hammer auf den Tisch. In den Widerhall hinein sagte er: »Dieses Gericht vertagt sich bis zum nächsten Dienstag, den 11. Oktober, und an diesem Tag, Herr, seid Ihr aufgefordert, die Wahrheit Eurer Worte zu beschwören, denn ansonsten wird Euch jede Hoffnung auf ewige Erlösung genommen.«
Er deutete direkt auf Gilles de Rais, der nur mit einem höhnischen Lächeln antwortete. Wachen gingen zu ihm und führten ihn zurück in seine Gemächer, wo er seine zunehmend unhaltbare Einstellung überdenken konnte.
Die Nachricht dieser Auseinandersetzung verbreitete sich in den Lagern wie ein Lauffeuer. Jene, die sich gekränkt fühlten, redeten davon, die Sache selbst in die Hand zu nehmen, was Chapeillon dazu veranlasste, mehrere Eilbotschaften an Herzog Jean zu schicken und ihn vor einem möglichen Aufstand zu warnen. Es kam zu endlosen Treffen und Disputen zwischen Seiner Eminenz und einer wahren Legion von Beratern über das Vorgehen in den nächsten Tagen; meine Schwestern und ich brachten fast den ganzen Montag damit zu, sie mit allem zu versehen, was sie brauchten, damit ihre Planungen für den nächsten Tag rechtzeitig und in aller Bequemlichkeit abgeschlossen werden konnten.
Doch trotz all ihrer Bemühungen – die angesichts der Nahrung, die sie brauchten, beträchtlich gewesen sein mussten – schienen sie wenig oder gar nichts erreicht zu haben. Am folgenden Dienstag, an dem das Gericht eigentlich wieder zusammenkommen sollte, versammelten wir uns und warteten darauf, dass sich ein vielleicht noch unerhörteres Drama entwickeln würde. Stattdessen vernahmen wir überrascht folgende Erklärung von einem der Schreiber: »Dieses Gericht vertagt sich bis zum Donnerstag, den 13. Oktober, zur Stunde der Terz, zu welcher Zeit wir in diesem Fall und den Fällen dieser Art fortfahren werden, wie das Gesetz es verlangt.«
Während wir warteten, dass die Menge sich zerstreute, schaute ich von unserem erhöhten Aussichtspunkt hinab und sah ihre erhobenen, greifenden Hände und ihre offenen, schreienden Münder.
Sie würden uns alle verschlingen.
Als ich an diesem Abend Jean de Malestroit sein Mahl brachte, ging unsere Unterhaltung im fortdauernden Geschrei der Menge unter, das nicht im Geringsten nachgelassen hatte. Die Vorhänge und Wandteppiche vor den Fenstern konnten den Lärm kaum dämpfen, nicht einmal in dieser Höhe.
Ich zog einen Vorhang ein Stück beiseite und schaute hinunter auf die wogende Masse. »Sie erinnern mich an die Menge, die sich für die Jungfrau versammelt hatte.«
Seine Eminenz stellte sich neben mich und schaute ebenfalls hinunter. »Man möchte diese Geschichte gern aus dem Gedächtnis löschen.«
Darauf bestand natürlich keine Hoffnung. Fehler bleiben immer im Gedächtnis, angenehme Erinnerungen dagegen werden verjagt von Kummer und Sorgen. Gott sei Dank war ihre Hinrichtung nicht Jean de Malestroits eigener Fehler. Dennoch konnte er, wie andere Kirchenfürsten auch, nicht umhin, den schlechten Ausgang zu bedauern. Ich war damals erst vier Jahre im Dienst Seiner Eminenz und noch zu unerfahren für die Verantwortung, die ich nun trage. Jean de Malestroit schien in mir die folgsame Dienerin zu finden, die er zur Erledigung der kleinen Pflichten seines Amtes brauchte, und ich war damals mehr als folgsam. Und so fand ich mich an diesem schrecklichen Tag des Jahres 1431 an einem Platz wieder, der mir eigentlich gar nicht zustand, mit einer Aussicht, die im Allgemeinen den Mächtigen vorbehalten war.
Mein Kummer über Etiennes Tod war mir damals noch beinahe beständig im Hirn und im
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