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Die Schreckenskammer

Titel: Die Schreckenskammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Benson
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so schmerzhaft leidenschaftlich sie auch vorgetragen wurden, konnten die gestrengen Richter nicht umstimmen. Gilles de Rais war einfach zu weit gegangen. Wir versammelten uns in der neunten Stunde des Morgens in der oberen Halle der La Tour Neuve am Donnerstag, den 13. Oktober, im Jahre 1440, das siebenunddreißigste Lebensjahr von Gilles de Rais und mit Sicherheit sein letztes.
    Obwohl es störend war, wurden nun wieder Beobachter in den Gerichtssaal eingelassen. Jean de Malestroit wusste sehr wohl, dass es politisch weise war, wenn er zuließ, dass Außenstehende seine richterliche Tadellosigkeit bezeugten und herumerzählten. Im Abstand von wenigen Schritten wurden am Rand des Saales Wachen aufgestellt, welche die Ordnung aufrechterhalten sollten. Dadurch entstand ein Ring, den alle, die eintreten wollten, durchqueren mussten. Als der Saal so voll war, dass alle bequem Platz hatten, wurde niemand mehr eingelassen.
    Als wäre der Prozess eine Unterhaltung, zu der man sie eingeladen hatte, strömten die adligen Herren und Damen der Bretagne in Scharen herbei, alle schmuck gekleidet in höchst bewundernswerter Eleganz, fast so, als wollten sie mit Milord selbst wetteifern, der sich für diese ersten Stunden seiner endgültigen Verurteilung aufs Prächtigste herausgeputzt hatte. Ich starrte schamlos die Juwelen und wunderschönen Stickereien an, die Männer wie Frauen trugen; noch nie hatte ich mich in solche Dinge gewandet, nicht einmal am Tag meiner Hochzeit.
    »Ihr starrt«, bemerkte Frère Demien leise.
    »Bitte gestattet mir einen ungestörten Augenblick der Sünde.«
    Frère Demien seufzte und schüttelte den Kopf, sagte aber nichts mehr über meine so niedere Beschäftigung. Kurz darauf wurde unsere Aufmerksamkeit auf das Verfahren zurückgelenkt durch eine neue Stimme, und zwar die des ehrwürdigen Doktors des Rechts Jacques de Pencoëtdic. Er würde an diesem Tag als Ankläger dienen, darauf hatten sich alle Beteiligten geeinigt. Er war ein erfahrener Mann, zu Recht berühmt für forsche Rechtsprechung, eine ausgezeichnete Wahl. Er verstand es höchst geschickt, auch aus dem verwirrendsten Problem etwas Einfaches und Klares zu machen.
    Die Luft war erfüllt vom reichen Klang seiner Worte und die Dramatik seiner Rede schier verzehrend – große Herren und wunderschöne Damen reckten die Hälse, um zu lauschen, sogar der quälend langen Erklärung der Rechtmäßigkeit dieses Gerichts.
    Aber das Gefesseltsein der Menge erhöhte sich noch, als die eigentliche Aufzählung der Verbrechen begann.
    »… dass ebenjene Knaben und Mädchen entführt worden seien von besagtem Gilles de Rais, dem Angeklagten, und von seinen Anhängern … dass von jenen besagten Kindern die Kehlen durchschnitten und sie getötet und zerstückelt und verbrannt und auf andere Arten schändlich gequält worden seien. Dass besagter Milord Gilles de Rais, der Angeklagte, die Leichen dieser Kinder auf verdammenswerte Weise Dämonen geopfert habe, dass nach vielen anderen Berichten besagter Gilles de Rais Dämonen und böse Geister angerufen und ihnen diese Kinder geopfert habe, manchmal nachdem sie tot waren, manchmal während sie noch starben; dass der besagte Angeklagte in grässlicher und niederer Weise die Sünde der widernatürlichen Unzucht getrieben habe, wobei er bei den Mädchen die natürliche Leibesöffnung verschmähte … dass besagter Gilles de Rais, erfüllt von bösen Geistern und alle Hoffnung auf Erlösung fahren lassend, viele Kinder verschleppt, getötet und abgeschlachtet habe, er selbst ebenso viele wie die besagten Komplizen. Dass er angeordnet und befohlen habe, die Leichen dieser Kinder zu verbrennen, in Asche zu verwandeln und in Verstecke zu werfen … dass während der besagten vierzehn Jahre er außerdem Gespräche geführt habe mit Zauberern und Ketzern, dass er viele Male ihre Hilfe erbeten habe, um seine Vorhaben durchzuführen, dass er mit ihnen sich ausgetauscht und zusammengearbeitet habe, ihren Lehren gelauscht und ihre Bücher über die verbotenen Künste der Alchimie und der Hexerei gelesen habe …«
    Alles in allem wurden fünfundvierzig Anklagepunkte laut vorgelesen – an ihrem Ende waren einige der Damen einer Ohnmacht nahe. Die Menge der zugleich entsetzten und gefesselten Beobachter war während der wiederholten Aufzählungen von Gräuel um Gräuel still geworden und schien jetzt völlig betäubt zu sein. Doch zwei unter ihnen schienen jedes Wort auszukosten, beides Damen, Mesdames Jarville und

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