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Die Schreckenskammer

Titel: Die Schreckenskammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Benson
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Thomin d’Araguin, die, als die Aufzählung beendet war, aussahen, als verlangten sie nach noch mehr Gräueln. Sie starrten Milord an, wie ein Gläubiger das Abbild eines Heiligen anstarrt, weil er hofft, dass ein wenig von der Heiligkeit auf ihn abfärbt.
    »Empörend«, murrte Frère Demien, als er sah, in welche Richtung ich schaute. »Ich habe gehört, dass Poitou diese beiden nach Champtocé brachte und ihnen gestattete, sich die Tötungen aus einem Versteck heraus anzuschauen. Und dass sie äußerst begierig darauf waren, sich eine solche Vorführung noch einmal anzusehen.«
    Entsetzt lehnte ich mich zurück; wie eine Frau, auch eine, deren Schoß kein Leben hervorgebracht hatte, der Vernichtung eines Kindes zusehen konnte, überstieg meinen Verstand. Und ganz zu schweigen von …
    De Pencoëtdics Stimme rettete mich aus meiner Melancholie; er rief Milords Namen und hieß ihn aufstehen und sich dem Gericht zuwenden. Gilles de Rais erhob sich zu seiner ganzen Größe und richtete den Blick auf das Richterkollegium.
    »Ihr werdet nun antworten, Herr«, sagte De Pencoëtdic mit ernster Stimme, »auf diese sc hwer wiegenden Anklagen. Ihr werdet es unter Eid und in der französischen Sprache tun, und zwar einzeln zu jedem Punkt dieser Anklage.«
    Der Angeklagte ließ den Blick durch den großen Saal schweifen und suchte die Augen seiner Standesgenossen. Doch nur seine beiden weiblichen Bewunderer erwiderten seinen Blick für mehr als einen kurzen Augenblick. Denn diesem Mann in die Augen zu schauen, konnte wirklich ernste Folgen haben.
    »Habt Ihr vor zu antworten, Herr?«, fragte De Pencoëtdic.
    Es war so still im Gerichtssaal, dass wir die Fliegen summen hörten, und es blieb auch so, denn Milord schwieg auf die Frage des Anklägers. Alle Augen ruhten auf dem großen Marschall von Frankreich. Das nächste Geräusch, das wir hörten, war De Penco ëtdics enttäuschtes Aufseufzen, das nun die Blicke aller auf ihn zog. Langsam und der Steifheit seines Alters angemessen, drehte er sich zu Seiner Eminenz und Bruder Blouyn um. Er nickte kaum merklich, wohl ein zuvor vereinbartes Signal, und setzte sich dann in den samtbezogenen Sessel, von dem er zuvor aufgestanden war, nun wieder ein stummer alter Mann.
    Jean de Malestroit beugte sich leicht vor und sagte: »Ihr werdet antworten, Milord.«
    Warum er Seiner Eminenz, einem langjährigen Feind, antworten sollte, aber nicht De Pencoëtdic, der ihm nichts nachtrug, kann ich nicht sagen. Aber genau das tat er. Gilles de Rais schaute Jean de Malestroit in die Augen und sagte mit unüberhörbarem Hochmut: »Das werde ich nicht.«
    Ein Raunen ging durch die Menge. Dem Stellvertreter Gottes die Antwort zu verweigern war an und für sich schon Ketzerei. Ihn ohne Ehrentitel anzusprechen war so gut wie unvorstellbar.
    »Ich sage noch einmal, Milord, und ich rate Euch, bevor Ihr Euch weigert, das Heil Eurer unsterblichen Seele zu bedenken, Ihr werdet antworten.«
    Gilles de Rais musste sich sichtlich im Zaum halten – er kochte, zitterte beinahe.
    Ich schwöre, Etienne, ich dachte, er würde gleich platzen – wenn er nicht bekam, was er wollte, hielt er den Atem an, bis er blau wurde. Und wenn er die Luft dann wieder herausließ, schäumte er vor Wut, wie ein junger Bulle, dem man ins Auge gestochen hatte! Der Knabe nimmt eine Ablehnung seiner Wünsche nicht ohne Widerworte hin … Manchmal hätte ich nicht übel Lust, ihn selber die Peitsche kosten zu lassen, wäre es mir nicht verboten.
    Beherrsche dich, Guillemette. Es steht dir nicht zu, ihn zu züchtigen.
    Wenn nicht mir, wem dann? Irgendjemand muss es tun.
    Nun sahen wir die Folgen dieses Versäumnisses vor uns, wessen es auch sein mochte.
    »Ich werde nicht antworten«, wiederholte er. Er sah zuerst Jean de Malestroit an und dann Bruder Blouyn. Seine Miene triefte vor Stolz und Geringschätzung. »Ihr seid nicht meine Richter und seid es auch nie gewesen.«
    »Im Namen Gottes, der Euer Richter ist und immer sein wird, verlange ich von Euch, dass Ihr auf die Vorwürfe antwortet, die Euch heute vorgelegt wurden.«
    Jetzt fing Gilles de Rais an, Jean de Malestroit und seine Richterkollegen anzuschreien. Alle drei schraken vor der Wucht seiner Worte zurück. »Ihr seid diebische Schurken, die sich haben bestechen lassen, um mich zu verurteilen«, kreischte er, »und lieber lasse ich mich mit einem Strick am Halse aufhängen, als solchen Richtern zu antworten, wie Ihr sie seid.«
    Er drehte sich um und schritt auf die Tür zu,

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