Die Schreckenskammer
zu mir kamt.«
Heilige Jungfrau, rette mich! »Nein …«
»Nun, wo sind sie dann?«
»Es gibt keine!«, rief ich ungeduldig. »Es gab nichts nach meinem Geschmack. Der Markt schien aus irgendeinem Grund ziemlich leer.«
Die Augenbraue senkte sich wieder auf einer Seite. »Gar nichts?«
»Nein«, erwiderte ich schüchtern.
»Hmmm. Vielleicht waren ja alle Händler heute hier in Nantes; wie schade. Oft kommt Ihr von Euren Ausflügen mit mehr Einkäufen zurück als ursprünglich beabsichtigt. Und nach Eurer Rückkehr bringt Ihr Stunden damit zu, die Vorzüge Eurer Einkäufe zu preisen, in dem Bemühen, wie ich erkannt habe, Eure Ausgaben aus der Schatztruhe des Klosters zu rechtfertigen, doch ich muss auch gestehen, dass ich dieses Euer Bemühen immer mit großer Vorfreude erwarte, denn Ihr glüht förmlich, und es ist ein Vergnügen zu sehen, mit welchem Einfallsreichtum Ihr Verwendungen für die Dinge erfindet, die Ihr gekauft habt. Heute seid Ihr zurückgekommen mit leeren Händen und ohne Geschichten bis auf diese wilden Märchen von gefressenen Kindern.«
»Wenigstens waren sie nicht mit Kosten verbunden …«
»… was ihrem vermutlichen Wert entsprechen dürfte.«
Einen verblüfften Augenblick lang fragte ich mich, ob Etienne mich so gut gekannt hatte, wie dieser Mann es offensichtlich tat.
»Ich gestehe, ich war ein bisschen abgelenkt von der Sache mit dem verschwundenen Kind. Aber wenigstens habe ich kein Geld vergeudet.«
»Nein, nur Zeit. Und ein bisschen scheint mir ein milder Ausdruck für den Grad Eures heutigen Abgelenktseins.«
»Eminenz, meine Pflichten wurden versehen, bevor ich von hier aufbrach. Ich gebe zu, dass eine meiner Absichten im Lauf des Tages die Oberhand gewann. Aber Ihr müsst auch einsehen, dass diese Geschichte einer Nachforschung wert ist – Kinder sind verschwunden, und zwar auf völlig unerklärliche Weise. Kinder. Soweit man weiß, keine Kinder von Stand, aber …«
»Sicher wissen wir es nur von einem Kind.«
»Es gibt hartnäckige Gerüchte über andere.« Meine Stimme war ziemlich schrill geworden, so dass sie sogar in meinen Ohren unangenehm klang. »Ihr wisst doch über alles Bescheid, was in diesem Reich vor sich geht. Eure Ratgeber haben sicherlich von dieser Sache gesprochen.«
»Ihr übertreibt. Es gibt viele Dinge, die ich nicht weiß. Und meine ›Ratgeber‹, wie Ihr sie so höflich nennt, haben mir nichts gesagt.«
Ein Mann mit so viel Macht wie er, der so vieles für sich und andere zu schützen hatte, musste doch ohne jeglichen Zweifel viele Zuträger haben, die ihm wichtige Neuigkeiten lieferten. Er konnte sicherlich ohne große Schwierigkeiten in Erfahrung bringen, was er wissen musste und wollte. »Es entspricht nicht der natürlichen Ordnung der Dinge, dass Kinder verschwinden«, sagte ich. »Ihr könnt doch bestimmt herausfinden, was mit ihnen geschieht.«
»Schwester, wollt Ihr damit andeuten, dass etwas Unnatürliches mit ihnen geschieht, falls tatsächlich eine böse Absicht vorliegt? Es wäre doch viel näher liegend, dass diese Kinder einfach davongelaufen oder aufgrund eines unglücklichen Zufalls verschwunden sind und ihre Überreste noch nicht gefunden wurden. Und wir reden hier von einigen wenigen Kindern, nicht von Dutzenden. Wären es Dutzende, wäre das eine ganz andere Lage.«
»Vielleicht sind es ja Dutzende. Es wäre vernünftig, das herauszufinden, bevor wir diese Verschwindensfälle als nichts Ungewöhnliches abtun.«
»Ach, ach!«, sagte er. »Reine Zeitverschwendung.«
Ich ließ einen Augenblick kalten Schweigens verstreichen, bevor ich sagte: »Ihr würdet nicht so denken, wäre es Euer Kind.« Ich warf einen Blick auf die Utensilien des Gottesdienstes, die auf dem Tablett bereitlagen. »Eure Vorbereitungen sind abgeschlossen. Mit Eurer Erlaubnis, Eminenz, werde ich mich jetzt in meine Kammer zurückziehen. Zu persönlichen Gebeten. Ich glaube, die Reise hat mich doch sehr mitgenommen.«
Ohne auf seine Antwort zu warten, senkte ich den Kopf und ging zur Tür. Plötzlich spürte ich seine Hand auf meiner Schulter. Ich drehte mich um und starrte ihn wütend an.
»Es tut mir Leid, Guillemette.« Er war völlig zerknirscht, zumindest für den Augenblick. »Ihr habt ja Recht«, sagte er. »Mir fehlen die Voraussetzungen, um Eure Gefühle in dieser Sache zu verstehen.«
Ein Lächeln der Dankbarkeit drängte auf meine Lippen, doch ich bezwang es und nutzte den Vorteil des Augenblicks, den er mir so günstig eröffnet hatte
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