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Die Schreckenskammer

Titel: Die Schreckenskammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Benson
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– nicht einmal die Jungfrau von Orléans hatte mir in dieser Hinsicht viel voraus. »Eminenz, lasst mich herausfinden, ob es noch mehr Fälle gibt, und falls es sie gibt, erbitte ich Euren Segen, meine Ermittlung noch weiter fortführen zu dürfen.«
    Seine Zerknirschung, so schien es, reichte nicht so weit, dass er mir eine solch verwegene Bitte gewährte. »Ihr habt Pflichten hier, muss ich Euch daran erinnern?«
    »Das braucht Ihr nicht.«
    »Es würde erfordern, dass Ihr über Land reist – was sehr gefährlich ist.«
    »Ich bin Äbtissin. Niemand wird mir etwas tun.«
    »Auch eine Äbtissin ist eine Frau. Es gibt Männer da draußen, die sogar der Heiligen Jungfrau Gewalt antun würden, wenn sie die Gelegenheit dazu hätten.«
    Ich schluckte schwer und sagte: »Dennoch werde ich gehen. Und wenn Ihr es mir verbietet, werde ich diesen Schleier ablegen, und dann könnt Ihr mir gar nichts mehr verweigern außer den Sakramenten.«
    Hrrmp. »Gott möge Euch für Eure Halsstarrigkeit bestrafen.«
    » Au contraire, Bruder, Gott wird mich für meine Tapferkeit belohnen. Ihr werdet sehen.«
    »Nur Er weiß, wie Er diese beiden Wesenszüge zu betrachten hat. Tut, was Ihr wollt, Guillemette, Ihr werdet es sowieso tun.«
    Dann fügte er mit gewissem Widerwillen hinzu: »Wenn Ihr dies Eurer Zeit für würdig erachtet, dann muss ich mich wohl auf Euer Urteil verlassen. Aber bitte seid diskret. Wir wollen keine unnötige Aufregung unter den Leuten verursachen.«
    Es war eine Gabe, aber keine ohne Gegenleistung, denn nachdem er mir seinen Segen erteilt hatte, musste er noch eine strenge Ermahnung anfügen: »Nur lasst Euch von dieser Sache nicht verzehren.«
    »Ich werde mir Mühe geben.« Ich verbeugte mich leicht und wandte mich zum Gehen, doch Jean de Malestroit fasste mich sanft am Arm und hielt mich zurück.
    »Gott würde es sehr freuen, wenn Ihr hier betet anstatt in Eurer Kammer.«
    Gott, also wirklich. Sein Bischof war es, der mich hier haben wollte. Ich nickte zum Zeichen meines Einverständnisses, doch so würdevoll, wie ich nur konnte.
    »Gut«, sagte Jean de Malestroit. Er nahm das Tablett zur Hand und wandte sich zur Tür, stellte es aber dann wieder ab und sagte mit einem Seufzen: »Eines Tages wird Gott mich für die Unzulänglichkeiten meines Gedächtnisses zur Rechenschaft ziehen. Hier ist ein Brief für Euch. Aus Avignon.« Er zog eine Schriftrolle hervor.
    Jean. Mein Herz machte einen Satz, während ich gierig die Hand nach dem Pergament ausstreckte. Seine Eminenz hatte Recht. Er würde meine Leidenschaft nie verstehen.

4
    Ellen Leeds hatte »rot« gesagt, in dem trüben Licht wirkte diese Jacke aber eher kastanienbraun, und deshalb versuchte ich, meine Aufregung zu zügeln. Ich war sehr froh um die Grundausbildung in Ermittlungstechnik, die alle Streifenbeamten durchlaufen mussten, denn der Kollege hier hatte sich davor gehütet, sie aufzuheben. Das erwies sich in diesem Fall als doppelt wichtig, denn als ich mich hinkniete und sie mit meiner Taschenlampe genauer untersuchte, entdeckte ich oben auf der Jacke ein kleines, zerknülltes Stück Papier.
    Ein schmaler Streifen – vielleicht eine weggeworfene Quittung. Es konnte hierher geweht worden sein, doch bei so wenig Wind war das unwahrscheinlich. Ich schaute mich noch einmal um, um die Luftbewegung abzuschätzen; den ganzen Bürgersteig entlang rührte sich nirgendwo ein Blatt. Das kleine weiße Papier lag locker auf einem Ärmel, in der Nähe des Ellbogens. Wenn es tatsächlich hierher geweht worden wäre, dann hätte es sich wahrscheinlich in einer der Falten oder sogar am unteren Rand der Jacke verfangen. So aber lag es auf einem glatten Teil des Stoffes. Es musste nach der Jacke auf diesem Punkt gelandet sein, und falls es wirklich eine Quittung war, sollte eigentlich eine Uhrzeit aufgedruckt sein.
    Wir ließen alles an Ort und Stelle. Einer der Streifenbeamten ging mit dem Messrad den Fundort ab und nannte die Abstände. Ich blieb am Boden, schoss ein paar Fotos und hoffte das Beste. Etwas huschte davon, als der Blitz losging. Ich zeichnete eine grobe Karte in mein Notizbuch, die die Entfernung zu zwei unveränderlichen Orientierungspunkten zeigte – der eine ein Hydrant, der andere eine Straßenlaterne; beides würde in den nächsten Tagen aller Wahrscheinlichkeit nach nicht entfernt werden. Als alles vorschriftsmäßig dokumentiert war, steckte ich beide Beweismittel in Plastiktüten und beschriftete sie. Bis auf einige Zweige und Blätter, die

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