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Die Schreckenskammer

Titel: Die Schreckenskammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Benson
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hin – und unterwegs kann er denken und murmeln und trödeln. Manchmal denke ich, er benimmt sich richtig merkwürdig, aber ihm scheint es was zu bringen. Und er soll alles bekommen, das ihm was bringt.«
    Ich dachte an meine eigenen Schulwege in Minnesota – wie ich es meinen Kindern sagte, wenn sie jammerten, vor allem Evan –, mein Weg war neun Meilen lang gewesen, bergauf in beide Richtungen und immer im Schnee. Etwas ganz anderes als drei Blocks in dauernder Wärme. Aber ich verstand, was sie meinte; Zeit, um seinen eigenen Gedanken nachzuhängen, war sehr wichtig.
    Wenn sie ihn schon aus irgendeinem Grund verschwinden lassen musste – wieder kam mir diese Susan-Smith-Geschichte in den Sinn –, warum ging sie dann nicht einfach mit ihm hinunter in die Garage, fuhr mit ihm davon und beging das Verbrechen im Stillen? Warum um alles in der Welt sollte sie ihn im hellen Tageslicht an einem Wochentag verschleppen?
    Allmählich beschlich mich das Gefühl, dass Mrs. Paulsen sich etwas einbildete.
     
    Ich ärgerte mich ein wenig über mich selber, weil ich nicht mehr wusste, ob sie bei meinem ersten Besuch eine Brille getragen hatte. Als sie die Tür öffnete, trug sie keine, aber an einer Kordel um ihren Hals hing eine Lesebrille.
    »Tut mir Leid, Sie noch einmal belästigen zu müssen, Mrs. Paulsen, aber ich wollte mit Ihnen nur ein paar Dinge noch mal durchgehen, falls Sie Zeit haben.«
    »Ach, kein Problem, kommen Sie nur rein.« Sie lächelte und zwinkerte mir zu. »Zeit ist das Einzige, was ich habe, meine Liebe. Ich mache sowieso nur mein Kreuzworträtsel.«
    Sie deutete auf den Sessel neben dem Fenster. Auf dem kleinen Tisch daneben lagen neben dem Fernglas ein zusammengefalteter Zeitungsteil und ein dickes, altes Lexikon, das die Lesebrille erklärte.
    »Es gibt da noch ein paar Sachen, die ich klären muss. Wenn wir zum Fenster gehen könnten …«
    »Sie hat ihm nichts angetan, oder?«
    Ich war ein wenig überrascht von der unverhofften Frage. Aber sie hatte Zeit gehabt, über all das nachzudenken, was ich sie gefragt hatte, und ihre eigenen Erinnerungen noch einmal durchzugehen, und war so zu einem logischen Schluss gekommen, der meinem recht ähnlich war.
    »Ich kann noch nicht sagen, was passiert ist – es wäre reine Spekulation. Deshalb bin ich ja noch einmal hier. Die Umstände des Verschwindens dieses Jungen sind etwas verwirrend, und ich muss mir darüber Klarheit verschaffen. Im Augenblick ist Mrs. Leeds keine Verdächtige in Bezug auf das Verschwinden ihres Sohnes.«
    Mrs. Paulsen schüttelte leicht den Kopf und hob die Augenbrauen. Ich erwartete fast, dass sie mir Klatsch über Ellen Leeds auftischen würde, denn ihre Miene war das reinste Ach, wissen Sie.
    Ich zwang mich, nicht darauf zu reagieren. »Wenn wir jetzt zum Fenster gehen könnten …«
    Und schon war sie dort, mit kurzen, aber sicheren Schritten. Ich fragte mich, ob sie überhaupt nach draußen ging oder ob diese Wohnung und dieses Gebäude ihre ganze Welt darstellten.
    »Könnten Sie mir bitte zeigen, wo Sie gestern Morgen ungefähr standen, als Sie sahen, dass Nathan zu seiner Mutter ins Auto stieg.«
    »Nathan. Ich wusste gar nicht, dass er so heißt. Das war der zweite Vorname meines verstorbenen Gatten.«
    »Die Welt ist klein.«
    »Ja, nicht? Nun, ich stand genau hier.« Sie drehte sich zum Fenster. Ich stellte mich neben sie und schaute hinaus.
    »Wo ist Ihnen das Auto zum ersten Mal aufgefallen?«
    Sie überlegte einen Augenblick. »Ich kann eigentlich gar nicht sagen, dass es mir aufgefallen ist. Ich habe durchs Fernglas geschaut, und es kam einfach ins Blickfeld. Ich habe gar nicht richtig gesehen, dass es auf den Jungen zugefahren ist. Ich hatte es einfach plötzlich im Fernglas.«
    Ich zeigte auf das Fernglas. »Darf ich?«
    Sie nahm es vom Tisch und gab es mir. Ich hatte schon wieder vergessen, wie schwer es war, deshalb legte ich mir den Riemen um den Hals – man konnte sich ernsthaft die Zehen verletzen, wenn man es fallen ließ – und hielt mir dann das Glas an die Augen. Es dauerte eine Weile, bis ich die Brennweite auf meine Sehstärke eingestellt hatte.
    »Von wo ab haben Sie Nathan verfolgt?«
    »Sehen Sie den Hydranten?«
    Ich bewegte das Glas. »Hab ihn«, sagte ich.
    »Zählen Sie drei Laternenmasten ab. Von dort aus.«
    Es war ein deutliches Stück vor dem abgesperrten Bereich. Der vermutliche Entführungsort lag einen halben Block entfernt.
    Als wäre eine Erklärung für ihre Neugier nötig, sagte

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