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Die Schreckenskammer

Titel: Die Schreckenskammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Benson
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Mrs. Paulsen: »Ich beobachte diesen Jungen sehr gerne. Er hat eine komische Art zu gehen, und das ist interessant. Er berührt alles, woran er vorbeigeht, die Zäune, die Sträucher … und wenn er den Kopf dreht, dann bewegen sich manchmal seine Lippen. Ich glaube, er singt vor sich hin.«
    Ich ließ das Fernglas sinken, wartete kurz, bis meine Augen sich wieder umgestellt hatten, zog dann mein Notizbuch heraus und notierte mir, herauszufinden, ob Nathan an Dyslexie litt. Wie mein Sohn, der ganz ähnliche Schrullen hatte.
    »Das Auto kam also ins Blickfeld. Aus welcher Richtung?«
    »Von dort.«
    Die Beifahrertür war demnach an der Bordsteinkante gewesen.
    »Und Sie haben durchs Fernglas zugesehen, wie der Junge ins Auto stieg?«
    »Ja. So war es. Aber, na ja, das klingt vielleicht ein bisschen lächerlich, und ich weiß auch gar nicht, ob es wichtig ist …«
    »Alles kann wichtig sein, Mrs.  Paulsen. Bitte reden Sie ganz offen, Sie brauchen keine Angst zu haben, dass Sie sich lächerlich machen könnten.«
    »Na ja, es war komisch – er zögerte ein klein wenig. So, als wäre er sich wegen irgendwas nicht ganz sicher. Und ich sah, dass er seine Jacke verlor. Die fiel ihm irgendwie vom Schulranzen.«
    Ja, ja, ja … »Hat er sie dort einfach liegen lassen?«
    »Na ja, schon. Die blieb irgendwie an den Sträuchern hängen. Wenn ich es mir recht überlege, kam es mir schon komisch vor, dass seine Mutter ihn nicht dazu brachte, sie aufzuheben. Aber heutzutage schätzen die Kinder die Dinge, die ihre Eltern für sie kaufen, nicht mehr so, wie wir es getan haben. Ich wollte eigentlich nach unten gehen und ihnen eine Nachricht an die Tür hängen, dass er sie verloren hat. Muss ich dann wohl vergessen haben.«
    Irgendjemand musste später vorbeigekommen sein und sie ganz unter die Sträucher geschubst haben. Wahrscheinlich ein anderer Junge. Vielleicht derjenige, der dabei die Quittung verlor.
    »Fällt Ihnen sonst noch irgendetwas ein? Die kleinste Nebensächlichkeit, auch wenn Sie glauben, sie sei völlig unbedeutend …«
    Sie hob die Hand ans Kinn und dachte einen Augenblick sehr konzentriert nach. »Nein, tut mir Leid. An mehr kann ich mich nicht erinnern. Zumindest im Augenblick. Manchmal brauche ich eine Weile, um mir alles wieder ins Gedächtnis zu rufen. Früher war das ganz anders. Als ich jünger war, hatte ich ein gutes Gedächtnis, vor allem für Zahlen.«
    Ich hätte wetten mögen, dass sie sich noch an ihre allererste Telefonnummer erinnern konnte, aber nicht mehr an das, was sie an diesem Tag zum Frühstück gegessen hatte. »Vielen Dank, Mrs. Paulsen, Sie waren mir eine große Hilfe.«
    »Ach, ich habe doch sehr gerne geholfen. Ich hasse es, wenn ich höre, dass Familien in Schwierigkeiten sind. Es ist schrecklich, wie diese Dinge heutzutage laufen.«
    Ein mittelmäßiger Verteidiger würde sie in der Luft zerreißen. Aber es war ein Anfang.
     
    Fred Vuska war verärgert, er hasst es ebenso wie ich, wenn ein Fall sich so entwickelt.
    »Wollen Sie Frazee mit dazunehmen? Er holt die Wahrheit schon aus ihr raus.«
    Spence war unser Beichtvater; er konnte einen Eskimo in fünf Minuten dazu bringen zuzugeben, dass er geschwitzt hatte. Manchmal mussten wir allerdings auf ihn aufpassen, er wollte so unbedingt ein Geständnis von den Leuten, dass sie Dinge gestanden, die sie gar nicht getan hatten.
    »Noch nicht. Ich baue gerade eine Beziehung zu ihr auf. Und ich will nicht, dass sie ausflippt.«
    »Was ist mit dem Jungen? Schon was Neues?«
    Ich schüttelte langsam den Kopf. Beide saßen wir eine Weile da und betrachteten unsere Fingernägel. Schließlich sagte ich: »Er ist entweder völlig okay und irgendwo versteckt, oder er ist tot.«
    »Ja, davon würde ich auch ausgehen.«
    »Haben wir Geld im Budget für einen Profiler? So einer könnte mir helfen zu verstehen, aus welchen Motiven jemand so was tut. Dann könnte ich noch einmal mit ihr reden und vielleicht irgendwas erreichen.«
    »Das Geld ist da – genau genommen sogar ziemlich viel. Wir haben es nicht ausgegeben, weil diese Gurus damit beschäftigt sind, entweder für große Kohle Bücher zu schreiben oder Terroristen zu jagen. Wenn Sie betteln, dann schaffen Sie es vielleicht, fürs nächste Jahr einen zu buchen.«
    »Daran habe ich gar nicht gedacht.«
    »Sie könnten allerdings mit Erkinnen reden. Er weiß in diesen Dingen ziemlich gut Bescheid.«
    Der Psychologe unserer Abteilung war eher bekannt für Hirngespinste denn für Fachwissen,

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