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Die Schreckenskammer

Titel: Die Schreckenskammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Benson
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»Warum?«
    Sie faltete die Hände und sagte: »Es warten einige Dörfler auf Euch.«
    » Einige? «
    Nach einem tiefen Seufzer sagte sie mir, um wie viele es sich handelte. Ich bekreuzigte mich, um nicht in Ohnmacht zu fallen.

6
    Zigarettenqualm wehte heraus, als Ellen Leeds die Wohnungstür öffnete. Ihre Haare waren zerzaust, und sie trug noch dieselbe Kleidung wie am Abend zuvor.
    Sie war nicht im Bett gewesen, dieses elende Mistweib.
    »Hallo, Mrs. Leeds. Entschuldigen Sie, dass ich Sie schon so früh störe. Aber ich hatte gehofft, sie zu Hause anzutreffen.« Ich zeigte mich besorgt und mitfühlend.
    »Wo soll ich denn hin? Ich hatte nicht vor, heute zur Arbeit zu gehen. Ich meine, was ist, wenn Nathan mich erreichen will oder jemand ihn gefunden hat und mich anrufen will …«
    Diese wunderbare Schauspielerin hatte offensichtlich das Handbuch für Eltern vermisster Kinder gelesen, und zwar die von Susan Smith redigierte Ausgabe. Ich nickte voller Mitgefühl für ihr schmerzliches Dilemma und trat ohne Einladung durch die Tür.
    »Ich wollte Sie gestern Abend noch eingehender über Ihre Arbeitssituation befragen, aber wir mussten zunächst Wichtigeres besprechen. Nun, ich interessiere mich für die Vereinbarung, die Sie mit Ihrem Arbeitgeber getroffen haben.«
    Übersetzung: Ich möchte Ihren Chef fragen, wann genau Sie gestern angekommen und wieder gegangen sind.
    »Ich arbeite im Olive Branch.«
    »Aha«, sagte ich. »Das muss eine interessante Arbeitsstelle sein.«
    Es war eine bekannte, gemeinnützige, friedensorientierte Organisation, deren Arbeit darin bestand, Anfangskapital für kleine Firmen in Drittweltländern zu besorgen, schön gemäß der Theorie, dass kleine Leute, wenn sie anfangen, fett und reich zu werden, auch sehr friedlich werden und ihre Gesellschaften sich stabilisieren. Sie waren sehr aggressiv in ihrer Geldbeschaffung, manchmal so sehr, dass es Beschwerden gab. Ich fragte mich, ob es für sie nur irgendein Job war oder ob sie es aus Überzeugung tat.
    Sie beantwortete die Frage, bevor ich sie stellen konnte. »Ich schätze, ein paar der Stellen sind interessant. Aber mein Job ist eher so was wie Telefonmarketing. Ich verwalte die Spenderlisten und überwache das Computersystem, das wir zur Speicherung von Spenderdaten benutzen. Ich bin nicht draußen an der Front und bringe äthiopischen Witwen bei, wie man Bestandslisten führt. Aber der Job hat auch seine Vorteile, vor allem den, dass ich viel Arbeit auch zu Hause erledigen kann.«
    »Aber gestern waren Sie dort …«
    »Ja«, sagte sie mit verbitterter Bedächtigkeit. »Sonst wäre ich ja hier gewesen und hätte viel früher über Nathan Bescheid gewusst.«
    Ich hätte sie gern mehr unter Druck gesetzt, um sie vielleicht zu einem Fehler zu veranlassen, aber es war noch zu früh. Ich durfte ihren Argwohn nicht wecken. »Wissen Sie zufällig noch, wann Sie gestern das Haus verlassen haben, Mrs. Leeds? Ich versuche, eine exakte Chronologie der Ereignisse des Vormittags zu erstellen.«
    Sie zuckte mit keiner Wimper, bekam auch nicht diesen nervösen Blick und schien sich von der Frage absolut nicht aus der Ruhe bringen zu lassen. »Ich habe keine bestimmte Zeit, zu der ich das Haus verlasse, weil ich erst um neun dort sein muss und es nicht weit ist, nur fünfzehn Minuten mit dem Auto, vielleicht zwanzig, wenn der Verkehr sehr dicht ist. Aber ich genieße es, im Büro ein wenig allein zu sein – ich schaffe viel mehr ohne die Ablenkung durch andere Leute. Deshalb fahre ich meistens um acht los. Nathan geht schon vorher, ich habe also keinen Grund mehr, noch zu bleiben. Ich glaube, gestern bin ich so gegen sieben Uhr vierzig los. Ich weiß es nicht mehr genau, aber ungefähr um diese Zeit muss es gewesen sein. Nathan war erst ein paar Minuten weg, als ich die Wohnung verließ.«
    »Und auf welchem Weg fahren Sie zur Arbeit?«
    »Ich fahre links aus dem Parkplatz unseres Gebäudes und dann nach rechts auf die Montana.«
    Nach Osten also. Sie wäre also nicht an Nathan auf seinem Weg zur Schule vorbeigefahren. Aber eins wunderte mich – wenn sie fast zur gleichen Zeit das Haus verließen, warum ging Nathan dann zu Fuß? Ich fragte sie danach.
    »Er will es so«, erklärte sie mir. »Das gibt ihm ein Gefühl der Unabhängigkeit. Er hat Glück, dass die Schule so nahe ist. Viele andere Kinder kommen mit Bussen, aber ihm ist es lieber, aus eigener Kraft dorthin zu kommen. Er ist ein sehr zerstreuter Junge, träumt den ganzen Tag vor sich

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